Foto: Wolfgang Schiele

Im Newsletter des Carl-Auer-Verlages entdeckte ich vor einigen Monaten eine Neuerscheinung, die mich außerordentlich neugierig machte: Ein Buch über begleitende Psychotherapie in der letzten Lebensphase von uns Menschen. Die Autorin ist die Österreicherin Sandra Burgstaller, die Palliativpatienten psychotherapeutisch in ihrer allerletzten Lebensphase auf ihrem Weg vom Leben in den Tod betreut. Eine Reise, die von letzter existenzieller Bedeutung ist und damit auch unumkehrbar …

Das erste Mal kam ich mit fundamentalen Fragen des Lebens in meiner Coachausbildung in Berlin 2013 in Berührung. Während meiner Ausbildung gehörte es zum Curriculum, dass man mindestens drei zusätzliche Zertifizierungen für das Coach-Diplom vorlegen musste. Da vom Ausbildungsinstitut unmittelbar angeboten, entschloss ich mich, Neues über das „Existenzielle Coaching“ zu erfahren. Das Seminar hatte viel mit Sinnfindung im Leben, mit Lebenssymbolik und mit der „Evolution des Bewusstseins“ (nach Ken Wilber, US-amerikanischer Philosoph und Autor) zu tun. Zusätzlich erfuhr ich viel Nützliches und Spannendes über Irvin Yalom (dem wohl dienstältesten Psychotherapeuten der Welt), der in seinem Hauptwerk „Existenzielle Psychotherapie“ über die „letzten Dinge“ schrieb: Freiheit und Verantwortung, Isolation und Verbundenheit, Sinnsuche und Sinnlosigkeit sowie schließlich (Er-)Leben und Tod. Doch es waren überwiegend außertherapeutische Ansätze mit denen ich in Berührung kam, die im Coaching legitim, also ohne schulmedizinische Vorausbildung, angewandt werden durften. Auch eine weitere Fortbildung unter der Überschrift „Kreative Trauerarbeit“ im Jahr 2017 führte nicht wirklich an den Punkt, der mir wichtig erschien: Zu verstehen, was mit Menschen unmittelbar vor ihrem Lebensende geschieht und wie man mit ihnen – neben der körperlich-medizinischen Behandlung – einen (erfolgreichen) psychischen Therapieprozess durchlaufen kann. Klingt ganz schön verrückt …

Sandra Burgstaller hat das in ihrem Buch „Systemische palliative Psychotherapie“ anhand jahrelanger therapiebegleitender Erkenntnisse und Erfahrungen versucht zu erläutern. Und ich muss zugeben, es ist ihr gelungen. Bei aller objektiv erscheinender Hoffnungslosigkeit der Endzeitsituation und im Spannungsfeld zwischen Lebens- und Todessehnsucht greift sie auf Therapie-/Coachingmodelle zurück, die zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebensendes beitragen können. Neu für mich war die Überzeugung, dass man selbst in ausweglosen Situationen die Bedürfnisse hinterfragen (z. B. mit dem „Selbstwertmodell“ oder dem „Bild des Lebensbaumes“), die Identität entschlüsseln (z. B. mit den „Fünf Blättern der Identität“ nach C. Casula) und den Lebenssinn erkennen kann (z. B. mit der „Netzwerkkarte“). Dazu hat sie das „Palliative Transitionsmodell“ entwickelt.

So etwas geht offensichtlich in Österreich – haben wir Beispiele auch für Deutschland? Vom „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“ sind in Deutschland nur vier psychotherapeutische Verfahren zugelassen, für die die Krankenkassen die Kosten übernehmen – die systemische Therapie für Erwachsene kam als vierte erst vor Kurzen dazu. Aber findet sie tatsächlich (schon) Anwendung für alte, schwerst- oder todkranke Menschen? Und wer praktiziert sie?

Foto: Wolfgang Schiele

Ich finde es faszinierend, dass es bis fast in die letzte Erlebensstunde hinein auch für unheilbar kranke Menschen neben der medizinischen Versorgung eine psychotherapeutische Begleitung geben kann – mit weitgehend wissenschaftlich untermauerten Interventionen und Therapiemodellen.
Frage: Wer von den Bloglesern hat von dieser Art der Palliativbegleitung schon gehört oder sogar konkrete Erfahrungen gemacht, weil Eltern, Verwandte oder Bekannte in ihren letzten Tagen psychotherapeutisch begleitet wurden?

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele

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