Foto: Wolfgang Schiele

Die alte Schrankwand muss endlich raus! Das Monster, mittlerweile fast 30 Jahre alt, hat seine Schuldigkeit getan. Sechseinhalb laufende Meter Schränke, Regale und Vitrinen. Ein kleiner Wasserschaden vom geborstenen Aquarium 2005 ist irgendwie ihr Markenzeichen – an der Stirnwand aber kaum zu bemerken. Jetzt soll sie einer aufgelockerten Wohnlandschaft weichen. Das Dilemma dabei: Es wird Stauraum fehlen! Und was das Schlimmste ist: Ein Teil meiner geliebten Literatur findet keinen Stellplatz mehr. Bücher, die mich mehr als 50 Jahre begleitet haben, müssen ihren angestammten Platz verlassen. Schlimmer noch: Sie müssen zum Teil entsorgt werden!

Entsorgt deshalb, weil ich keine Lust habe, sie auf einem Trödelmarkt anzubieten. Und weil sich auch kein Altenheim, kein Krankenhaus oder Verein findet, der sich die Mühe machen würde, sie abzuholen und bei sich aufzustellen. Es gibt heute andere Möglichkeiten des Lesens. platzsparender und bequemer. Auf Knopfdruck kann man ganze Bibliotheken aufrufen. Oder sich Bücher digital vorlesen lassen. Also schweren Herzens trennen. – Obwohl: das Leerräumen des Möbels hat sich ganz schön hingezogen. Wenn ich bei den alten Bankunterlagen oder beim reichlich vorhandenem Gebrauchsglas noch kurzen Prozess machen konnte: Jedes einzelne der Bücher war mir eine „kleine Andacht“ wert. Denn jeder Verlust, sei er auch dinglicher Art, ist immer ein kleiner Trauerfall …

Foto: Wolfgang Schiele

Beim Anfassen der Werke wurde mir ihr Wert noch einmal so richtig bewusst. Einige der Bücher lösten in mir Emotionen aus, die mehrere Jahrzehnte zurücklagen und mit wichtigen Ereignissen in meinem Leben zusammenhingen. Andere projizierten visuelle Assoziationen zum Ort und zum Anlass ihres Erwerbes. Und wieder andere offenbarten mir grob und bruchstückhaft ihren Inhalt und die Lehren aus dem Gelesenen. Weitere nötigten mir Respekt des Autor ab. Und so wog ich behutsam und wählerisch ab, welche der Bücher eine weitere Lebensphase gemeinsam mit mir in Sicht- und Greifweite absolvieren dürfen …

Es sind gut 30 Bücher übriggeblieben. Sie sind nach meiner heutigen Überzeugung Meilensteine in meinem Leben gewesen – sei es als Auslöser eines ersten eigenen Gedichtes, als Tröster im jugendlichen Liebeskummer oder als Wegweiser für den weiteren Lebensweg. Klar ist doch eines: Wenn wir diese Welt verlassen, können wir nichts mitnehmen. Nicht einmal ein einziges Buch, vielleicht unser liebstes und wertvollstes. Also sollten wir die Werke rechtzeitig vor unserem eigenen Abschied noch einmal gedanklich – und vielleicht sogar verbal – würdigen und wertschätzen und uns bei ihnen für die Lebenshilfe bedanken, die sie uns haben zukommen lassen … Letztlich bin ich glücklich, mich von ihnen mit einer ganz bewussten Berührung und Entscheidung von ihnen getrennt zu haben …

Foto: Wolfgang Schiele

Und nein: Es gleicht keiner Bücherverbrennung – es ist eine ehrenvolle Trennung im gegenseitigen Wohlwollen und auf Augenhöhe.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele

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