
In Scharen werden die sogenannten Babyboomer in den kommenden Jahren in die Rente gehen. Und schon jetzt kann man allenthalben die Glückwünsche und „Nachrufe“ hören: der oder die geht in den „wohlverdienten Ruhestand“. Ich persönlich kann es schon nicht mehr hören. Klingt wie das Abfallen einer großen Last, der Last Arbeit. Wie eine Belohnung, die nun endlich zur Auszahlung kommt.
Doch: Woher wollen die Nachrufenden wissen, ob der Anwärter den Ausstieg aus dem Berufsleben herbeigesehnt hatte? Vielleicht wollte derjenige ja gern und freiwillig weiter im Job arbeiten, weil er Sinn darin fand oder die Tätigkeit seiner Wertewelt entsprach? Wieso meinen manche Zeitgenossen zu wissen, dass der Verlust der Arbeit ein Segen ist?
Immer wieder ist der Lobgesang auf den Ruhestand zu hören. Z. B. vom Dauertrödelspezialisten Horst Lichter im Einschaltquotenknüller „Bares für Rares“. Oder auf Abschiedsfeiern in Organisationen und Unternehmen. Unter Freunden, im Bekanntenkreis oder in der Nachbarschaft. Allerorten eben, wenn die Jahresringe des Kandidaten eben einen bestimmten Grenzwert erreicht haben.
Er ist in den allermeisten Fällen sicherlich wohl verdient – haben die Anwärter doch einen beträchtlichen Teil ihrer Lebensleistung zum Wohle von Unternehmen, Organisationen, Institutionen eingebracht. Und es sich sicherlich verdient … Aber was genau sollten sie sich verdient haben? Vielleicht die (späte) Freiheit, in der sie nun selbstverantwortlich und sinnbestimmt mit ihrer Zukunft umgehen können. Einmal genau das ausleben, was sie nicht durften oder konnten aufgrund von Restriktionen, Einschränkungen, Fremdbestimmung und Verboten im Ruhestandsvorleben.
Mein Fazit, flankiert von den eigenen Erfahrungen: Wenn der sogenannte Ruhestand „wohl verdient“ ist, dann sicherlich nicht im Rückblick auf die Vergangenheit, sondern in Voraussicht auf die Zukunft. Nicht in der Erinnerung an ein weitgehend fremdbestimmtes Berufsleben, sondern in einem wertschätzenden Vorausblick in eine selbstbestimmte Zukunft. Aber das ahnen ja die wenigsten derer, die uns ein Schulterklopfen spendieren und meinen, sie hätten uns damit auch den Ritterschlag der beruflichen Befreiung erteilt.
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr/Euer freiwillig emeritierter (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
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