
Welche Gefühle transportieren Fotografien? Welche Emotionen können Fotos in uns auslösen? Was genau geschieht dann in uns? Und geht in uns Betrachtern dann auch dasselbe vor?
Der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman hat herausgefunden, dass es kulturübergreifend sieben Basisemotionen gibt, die uns Menschen angeboren sind und sich u. a. in charakteristischen Gesichtszügen widerspiegeln. Es sind die Freude, die Angst, die Wut, der Ekel, die Überraschung, die Trauer und die Verachtung. Alle anderen Emotionen bilden sich erst im Laufe des Lebens heraus und sind weitgehend sozialisiert.
Mag sein, dass es mittlerweile Diskussionen darüber gibt, ob nicht auch die Neugier, das Interesse und die Liebe zu den angeborenen Emotionen gehören. Ich jedenfalls versuche die grundlegenden Gefühle immer im Kontext mit der Situation zu sehen. Denn auf den ersten Blick scheint ja nur die Freude eine positiv besetzte Emotion zu sein. Aber auch die übrigen sind außerordentlich nützliche, freundliche und willkommene Gefühle. So schützt uns z. B. die Wut vor Übergriffen, die Angst vor Übermut und der Ekel vor Vergiftungen.
Wenn wir uns Fotos anschauen, dann ist uns nicht gleich bewusst, welches Gefühl oder welche seelische Regung es auslöst. Weil es weitgehend unbewusst abläuft. Und wir in einer Welt der unzähligen Bilder und visuellen Reize das Gesehene kaum noch reflektieren. Doch das genaue Hinsehen und achtsame Hineinfühlen in ein Foto kann uns dabei helfen, unsere eigene Gefühlswelt näher kennenzulernen und sich auch in andere Menschen hineinzuversetzen.
Testen Sie Ihre Emotionen und entscheiden Sie, ob Sie nachfolgende Fotografien auch den Gefühlen zuordnen können, die ich beispielhaft ausgewählt habe.

Nach meinem Resilienztrainer Sebastian Mauritz ist die Trauer die „Hüterin der Werteerinnerung“. Sie spiegelt die unterschiedlichsten Verluste wider, die wir in der Vergangenheit erlitten haben, wie hier die verwelkte Rose. Sie erinnert uns daran, dass alles vergänglich ist und wir immer auch einen Preis im Leben zahlen müssen. Wir trauern in der Regel nicht vordergründig um Menschen und Sachen, sondern vielmehr um all die Werte, die wir mit ihnen verbinden. Hier könnte das z. B. die Schönheit und der Anmut einer erblühenden Rose sein.

Man nennt den Ekel auch den „Hüter der Gesundheit“. Ohne diese wichtige emotionale Reaktion hätten wir (gesundheitlich) keine Chance aufs Überleben. Ekelhaft kann einmal das visuell Abstoßende, das Abscheuliche und Grauenvolle sein (wie hier z. B. eine Spinne bei Phobikern), oder etwas, was bei der Nahrungsaufnahme die Gesundheit entscheidend schädigen könnte. Wir entwickeln also eine Abwehrreaktion – beginnend mit einem Widerwillen und endend in einer Panik – gegen das unserer Meinung nach Ungeheuerliche, Grauenhafte und Abscheuliche.

Ärger ist eine Emotion infolge einer mir wichtigen Werteverletzung oder der Nichterreichung von Zielen. Fotografien zeigen regelmäßig die Ergebnisse einer Kränkung, Beleidigung oder Verfehlung. Oder des Widerstandes gegen eine Bedürfnisbefriedigung. Und wir können uns eine Geschichte um das jeweilige Bild herum bauen, die uns plausibel macht, was vorgefallen sein könnte. Gute Bilder über Zorn, Wut und Ärger lösen in uns den Drang aus, die Ursachen zu ergründen, die zu Erregung, Trotz oder Verbitterung geführt haben.

Das ist ein Bild, das Freude assoziieren will. Die Freude ist die „Hüterin der Erwartungs- bzw. Bedürfniserfüllung“. Hier wird meine persönliche Sehnsucht nach Natur, Harmonie und Entspannung gestillt. In unserem Innern verringern sich durch die Ausschüttung des Harmonietransmitters Oxytocin körperliche Verspannungen und es wird ein Gefühl des inneren Friedens erzeugt. Das Schöne an den Bildern der Freude ist zudem, dass sie auch in den dunkelsten Momenten unseres Lebens eine ausgleichende, wenn nicht sogar eine kompensierende Wirkung gegenüber Problemen, Stress und Krisen entfalten.

Angst mobilisiert in uns die verschiedene Stresshormone, wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Sie ist eine „Wächterin über unsere Sicherheit“ und will uns auf körperliche Bedrohungen vorbereiten. Betrachte ich ein angstauslösendes Foto, dann versetzt mich das sofort in eine Art Alarmstimmung und ich versuche mich mental zu schützen, es zu verdrängen, mich kampfbereit zu machen oder schnell zu fliehen. Und doch hat es etwas Faszinierendes an sich. Wie schrieb Rainer Maria Rilke in seiner 1. Elegie u. a. :“… denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang …“

Was kaum jemand auf dem Schirm hat ist die Einordnung der Überraschung in die Kategorie der Basisemotionen. Sie tritt nur kurzzeitig auf und kann nachfolgend positive oder negative Emotionen auslösen. Welches Folgegefühl löst das Bild bei Ihnen aus? – Überraschung entsteht, wenn wir auf Bildern Unerwartetes erblicken, wenn wir erst einmal Orientierung brauchen und (scheinbar) ein Zusammenhang zwischen dem Motiv und dem Kontext des Bildes fehlt; wie hier ein Transformer vor einer Villentür.

So knallhart es auf den ersten Blick klingt: Die Verachtung ist die „Bewahrerin unseres Selbstwertes“. Verachtung kann nie von den fotografierten Dingen ausgehen, sondern nur vom Menschen selbst. Der Anblick einer „verachtungsvollen“ Fotografie macht uns kleiner als wir sind. Der meist mit verpressten Mundwinkel verbundene Blick zieht eine soziale Grenze zwischen Oben und Unten. Diese Emotion reguliert das zwischenmenschliche Statusniveau. Wir fühlen uns ausgegrenzt, gemobbt und im Selbstwert gemindert.
Vielen Dank für Ihr/Euer Interesse und beste Grüße
Wolfgang Schiele
Freiwillig emeritierter (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für angehende Senioren
© Wolfgang Schiele, 2024 | Coaching50plus | info@coachingfiftyplus.de

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