
Viele Dinge hatte man vor sich hergeschoben im Beruf, z. B. auch das Reisen. Weil die Zahl der Urlaubstage zeitlich begrenzt war und andere Sachen in ihrer Priorität höher standen. Nun, dachten wir, sei die Zeit gekommen, um uns einzureihen in die weltbereisende Touristengilde. Denn Muße haben wir jetzt im Rentenalter genügend. Um bisher unerreichte Ziele zu besuchen und bis dahin Ungesehenes auf dem Weg durchs letzte Lebensdrittel in uns aufzunehmen.
Ein wenig Bedenken hatte ich schon, als wir uns für eine Reise nach Südtirol entschieden. Weil ich zuvor einen Filmbericht über die Proteste gegen die Touristenmassen gesehen hatte, die unbarmherzig über schützenswerte Landschaften, reizvolle Ortschaften und beliebte Sehenswürdigkeiten herfielen. Auch Südtirol wurde musterhaft als überlaufende Gegend präsentiert. Und natürlich deren Anwohner, die den Niedergang ihrer Naturwunder und die Ausbeutung von Ressourcen beklagten.
Ob die Dolomitenrundfahrt, ein Besuch im mediterran anmutenden Meran oder ein Ausflug auf die Seiseralm – wir fanden uns in der Tat wieder inmitten einer Massenprozession durch verstopfte Straßen, in hoffnungslos überfüllten Gassen und auf überlaufenen Wanderpfaden.

Sind auch wir Teil des „obszönen Massentourismus“, wie es die ZEIT in ihrer Ausgabe 36 vom 24. August 2024 nennt? Treten auch wir in die „Fußstapfen der Kolonialisten“ oder provozieren wir die Bereisten und ihre heimatlichen Gefilde zur „Prostitution“ ihrer beneidenswerten Umwelt? Zwingen wir die an den Reisezielen Ansässigen zur „Preisgabe ihrer physischen Heimat“ und zahlen dafür ein mehr oder weniger hohes Schweigegeld?
Ich habe zwei Phänomene beobachten können: Viele derer, die unmittelbar vom Touristengeschäft leben und damit eine existenzielle Versicherung abgeschlossen haben, tolerieren zwangsläufig – zumindest nach außen hin – die gewaltigen Menschenmassen, die in ihre Heimat einströmen und bewerben sie sogar aktiv. All diejenigen, die wenig oder gar nichts mit dem Tourismus zu tun haben, sprechen sich gegen eine weitere Vermarktung ihrer Sehenswürdigkeiten aus, verlangen einen Zusatzbeitrag für die Umweltzerstörung oder eine Limitierung der einströmenden Fremdmenschen – ähnlich wie z. B. eine Quotenregelung in Asylfragen.
Sollte man nun verzichten auf die große „Reisefreiheit“ im Alter oder doch seinen späten Sehnsüchten folgen, sofern das finanziell möglich ist? Oder seiner unmittelbaren und engeren Heimat mehr Augenmerk schenken und besser zuhause bleiben? Denn auch ich habe als reifer Mensch gemerkt, dass ich vieles in der unweiten Umgebung noch nicht erkundet und gesehen habe … Was meint Ihr/meinen Sie?

Vielen Dank für Ihr/Euer Interesse und beste Grüße
Wolfgang Schiele
Freiwillig emeritierter (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für angehende Senioren
© Wolfgang Schiele, 2024 | Coaching50plus | info@coachingfiftyplus.de

13. September 2024 at 23:16
Traumhaft schöne Bilder jedenfalls.
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