
Viele Jahre lang, während der Zeit der Rauhnächte – das ist bei uns etwa die Periode zwischen dem Thomastag am 21.12. und Neujahr – veranstaltete mein langjähriges Ausbildungsinstitut, das spectrum Kommunikationstraining in Berlin, ein ganz besonderes Abendevent. Es stand unter dem Motto „Altes verabschieden, Neues begrüßen“. Im Jahre 2012 war ich auch dabei. Es war ein ritueller Abend, an dem sich viele Absolventen und Auszubildende trafen, um gemeinsam auf die vergangene Zeit zurückzublicken und sich aufs neue Jahr einzustimmen.
Was war, was ist, was bleibt?
Wir erhielten die Aufgabe, all das, was uns im ausgehenden Jahr belastet und behindert hatte und was wir nicht ins kommende Kalenderjahr mitzunehmen bereit waren, aufzuschreiben. All das Hinderliche, das uns wie ein Klotz am Bein hing und was den aktuellen Lebensplan durcheinandergebracht hatte. All das, was wehtat und was traurig machte. All das, was wir ohne Zaudern und ohne Wehmut loslassen konnten. All das, was uns zukünftig freier und selbstbestimmter machen würde. Doch damit nicht genug: Wir sollten die Notizen in bunten Farben schreiben, noch einmal mit Wertschätzung betrachten und gedanklich noch einmal würdigen, vielleicht sogar achtsam mit dem Nachbarn in der Runde besprechen. Denn es war ja ein Teil unseres Lebens …
Das Ritual
Der Abend war eisig kalt. Vor dem Eingang zum Institut stand eine große Blechtonne. Darinnen loderte eine Flamme, die ihre Umgebung mühsam aufwärmte. Dann hieß es, die beschriebenen Seiten Papier langsam in kleine Schnipsel zu zerreißen und sie dem Feuer zu übergeben. All die ungeliebten Gedanken, Erfahrungen und Erlebnisse entschwanden nach kurzer Zeit als große Wolke aus feurigen Funken in den kalten Nachthimmel. Wir schauten den gleißenden Rußpartikeln hinterher und fühlten uns befreit. In den Händen hielten wir Wunderkerzen und in unseren Köpfen entstanden neue Ideen für das vor uns liegende Jahr …

Wie sehen digitale Rituale aus?
Ein besonderer Wendepunkt war effektvoll erreicht. In diesem Jahr wird das Rauhnachtritual an der Tonne wohl ausfallen. Denn auch für eines der ältesten deutschen NLP-Institute ist ein Wendepunkt gekommen. Wohl auch wegen der aktuellen Krise sind die Räume gekündigt und das Institut verkauft und verschenkt gerade seine weltlichen Devotionalien. Ab jetzt soll alles im Internet ablaufen. Doch wie wird ein digitales Feuerritual aussehen – und wie wird es wirken? Woher wird die Wärme kommen und wohin werden die Funken fliegen?
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße
Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für Senioren
© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
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