
Teilchen verhalten sich unterschiedlich – nämlich in Abhängigkeit davon, ob man sie beobachtet oder nicht. — Wie jetzt? Warum sollten sie unter Beobachtung etwas anderes tun als ohne? – Doch in der Tat: Teilchen verhalten sich anders, wenn man sie beobachtet! Klingt erst einmal verblüffend, wenn nicht sogar verwirrend. Hier die Erklärung …
Eines der grundlegenden und bereits über 200 Jahre alten physikalischen Experimente scheint ein Paradoxon zu sein: das sogenannten „Doppelspaltexperiment“. Schickt man subatomare Teilchen, z. B. auch Licht, durch eine Platte mit zwei dicht nebeneinander liegenden Spalten auf eine weiter entfernte Wand, so sollten bei der Aufzeichnung dieses Vorgangs auf der Projektionsfläche logischerweise zwei klar umrissene Abdrücke erscheinen. Tun sie aber nicht! Stattdessen fächert sich das ankommende Licht als Wellenmuster über eine größeren Fläche auf der Wand. Es entsteht ein Abbildung, die all die möglichen Wege dokumentiert, die die Partikel nehmen könnten. Paradoxerweise ändert sich der Effekt, sobald die Partikel während des Experiments beobachtet werden: sie hinterlassen zwei scharfe Konturen auf der Projektionswand.
(Ich selbst kann mich noch an den Physikunterricht erinnern, in dem wir die Dualität des Lichts besprachen. Denn Licht hat zwei konträre Eigenschaften: Es ist zugleich Welle als auch Teilchen, in der Physik auch „Welle-Teilchen-Dualismus“ genannt.)
Erst die Quantenphysik kann den scheinbaren Widerspruch auflösen. Als Fazit können wir festhalten: Der Akt des Beobachtens verändert das Verhalten von Partikeln. Sie bewegen sich in einem „Möglichkeiténraum“. „Die von uns erlebte Realität ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem höherdimensionierten Raum, der alle denkbaren Realitäten beinhaltet“ (Jörg Starkmuth in „Die Entstehung der Realität“). Es ist wie in einem Computerspiel, das durch seine Algorithmen alle möglichen Handlungsstränge verfolgen kann – allerdings wird der Spieler nur einen, seinen eigenen Spielfaden spinnen.
Das Vorgenannte bedeutet nicht mehr und nicht weniger, dass unser Bewusstsein aus einer Vielzahl aller möglichen Wirklichkeiten eine Variante auswählt – damit wird sie zur von uns erlebten Realität! Oder anders gesagt: Wir alle erleben eine Welt, die in unserem Kopf entsteht. Und dass sie formbar ist, weil der Beobachter sie beeinflussen kann. Und der Beobachter ist unser Bewusstsein!
Um zum eigentlichen Thema zu kommen: Was bedeutet das nun für´s Fotografieren? Denn beim Aufnehmen eines vom Bewusstsein erfassten Motives wird Licht, also ein Bündel subatomarer Partikel, durch eine Öffnung transportiert und auf einer „Projektionsfläche“ – heute ein Chip, früher eine lichtempfindliche Schicht – gespeichert und abgebildet. Denken wir im Sinne des o. g. Quantenexperimentes weiter, so entsteht auf der Projektionsfläche in der Kamera ein Raum der Möglichkeiten. Mit dem Auslösen der Kamera meinen wir zwar, genau das abgebildet zu haben, was wir als Motiv sahen und wie wir ihm entgegengetreten sind. Aber wir können keine Gewissheit haben, wie es „tatsächlich“ aussieht, solange es keinen Beobachter gibt.
Erst mit der Betrachtung dessen, was wir nunmehr das fertige Bild nennen, legen wir uns fest, welche der Bildrealitäten des „Möglichkeitenraumes“ für uns persönlich zutrifft. Unser Bewusstsein wählt aus der unerschöpflichen Vielfalt von Optionen aus und macht eine, unsere ganz individuelle Variante, zur erlebten Wirklichkeit. Was gleichzeitig auch bedeutet, dass jeder andere beim Bildbetrachten seine ganz spezielle Bildvariante sieht. Oder anders gesagt: Erst mit dem Betrachten formt der Beobachter das Bild, von dem wir denken, dass es eindeutig gespeichert und festgeschrieben – und also auch unveränderlich – sei.
Max Planck, der Begründer der Quantentheorie, sagte einmal: „Alle Vorstellungen, die wir über die äußere Welt entwickeln, sind Reflexionen unserer eigenen Wahrnehmungen.“ Das heißt auch in Bezug auf eine Fotografie, dass wir die Eintrittswahrscheinlichkeit einer bestimmten Bildwahrnehmung und -interpretation bewusst durch unsere Gedanken lenken. Sie führen uns als Beobachter in genau die Richtung, die uns am wahrscheinlichsten, am wahrhaftigsten erscheint. Heißt zugleich: Wir richten unseren Bewusstseinsfokus genau auf eine Realität, die wir beobachtend verfolgen, bevor sie überhaupt entstanden ist.
Kurzum: Wir machen genau die Fotografien, die unser Bewusstsein aus der Vielzahl der und angebotenen Realitäten auswählt. Damit entsteht unsere ganz persönliche fotografische Wirklichkeit, zu der eine Diskussion über Meisterschaft, Maßstab oder gar Perfektion obsolet wird. Das entstandene Bild ist das visuelle Ergebnis einer Vielzahl von einzigartigen neurotischen Filtern in unserem Gehirn. Es ist die Quintessenz, ja das Wesen dessen, was in unserem Denken fest verankert ist und unsere ureigenste Wertewelt ausmacht, worauf wir fest fokussiert sind. So, wie wir unsere Überzeugungen, unseren Glauben und unser Bewusstsein verändern, so werden wir die auch unsere fotografische Welt (und nicht nur die) verändern. Nicht das Außen gibt uns die Herangehensweise an ein Motiv vor, sondern unsere innere Haltung und Betrachtungsweise.
Dazu passt ein Satz von Immanuel Kant, der schon vor langer Zeit dieses Phänomen philosophisch interpretiert hat :
„Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2024 | info@coachingfiftyplus.de

23. Februar 2024 at 11:51
Kompliziert erscheinende physikalische Phänomene, die eigentlich ganz einfach sind, in eine uns Normalmenschen verständliche Sprache umzusetzen, ist eine Kunst.
Dies können wir vielleicht wiederum vereinfachen, indem wir nicht jede philosophische „Weisheit“, wie die von Emanuel Kant, ungeprüft übernehmen, sondern auch hier – unbelastet wie ein Kind – selbst sagen, wie wir es erkennen und erleben.
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