
Ich gebe zu: Wie ich hier so meinen Text schreibe, tue ich genau das, was ich eigentlich „verteufeln“ will – das stupide Tippen von Buchstaben auf einer Computertastatur zwecks Erstellung dieses Textes. Das Anschlagen von vordefiniert angeordneten Tasten steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Sinn, den ich mittels Schrift auszudrücken und zu vermitteln versuche.
Ich sehe gerade jetzt wieder vor meinem geistigen Auge, wie ich meine ersten Buchstaben hochkonzentriert, aber verwackelt, zu Papier bringe. Es war im September 1960. Seitdem habe ich – wie wohl fast alle anderen auch – gefühlt einige Millionen von Schriftzeichen von Hand zu Papier gebracht. Sie haben meine Art und Weise, zu lernen und zu verstehen, tief geprägt. Und solange ich denken kann, habe ich meine Schrift durchaus gemocht, auch, wenn sie ab und an die Bezeichnung Sauklaue verdiente. Noch bis vor einem guten Jahr war ich genau dann in meinem Element, wenn ich im Seminar Begriffe und Bezeichnungen an das Flipchart schreiben konnte. So, wie ich mit sichtbarer Schrift anderen einen weiteren Informationskanal bereitstellen konnte, vertiefte sich auch in mir das Verständnis des Vorgetragenen weiter.
Was macht unsere Handschrift so wichtig – und gerade jetzt im höheren Erwachsenenalter?
Handschrift ist ein Bewegungsablauf, der von vielen einzelnen Körperteilen mitgetragen wird. Der Verstand zeichnet im wahrsten Sinne des Wortes auf, was wir gerade schreiben. Würden wir nur lesen, dann wüssten wir bald nicht mehr, wie die Worte richtig geschrieben werden, denn die auditive Erfassung würde weder taktil unterstützt noch als stummer Lesevorgang Eingang zum Gehirn erhalten. Lautlos buchstabieren wir mit, was die Feinmotorik der Hand buchstäblich „begreift“ und „aufzeichnet“. Handschriftliche Skripte beinhalten eine ganze Reihe sich gegenseitig ergänzender Informationsgehalte: einen hohen visuellen Anteil, stummgeschaltete mental-auditive Effekte, körperlich-haptische Erfahrungen und Eindrücke sowie Emotionen, die mitten im Schreiben teils unbewusst in den Text mit einfließen. Von Hand schreiben ist eine ist eine verschränkte Kunst, die eine anspruchsvolle, komplexe Hirnarbeit voraussetzt. Das wurde mir vor ein paar Jahren so richtig bewusst, als ich für eine Prüfung zum Resilienztrainer in kürzester Zeit 15 komplexe Fragen handschriftlich beantworten musste. Es war ein Hochleistungstest, der den ganzen Körper beanspruchte. Denk- und Körpermuskeln waren gemeinsam zu einer kollektiven Leistung herausgefordert. Und ich wunderte mich noch Tage danach, dass ich mit 63 Jahren eine solche Tortour erfolgreich bewältigen konnte: 98 von 100 Punkten.
Wenn auch mit der Einführung von Personalcomputern und Smartphones die Option zum Tippen immer verlockender wurde, so hielt ich mich immer an Kladden und Notizbücher. In dutzenden von Weiterbildungen schrieb ich viele schöne kleine Bücher, meist von der Firma paperblanks, voll. Und es macht noch heute Spaß, darin zu blättern und die vertraute Schrift wiederzuerblicken. Genau so, wie es beim Schreiben selbst großen Spaß gemacht hat, das Haptische des Papiers zu spüren und das Dahingleitens des Stiftes auf einem hochwertigen Untergrund wahrzunehmen.
Es ist wissenschaftlich hinlänglich bewiesen, dass wir uns Sachverhalte und Geschehnisse dann besser einprägen, wenn wir sie handschriftlich zu Papier bringen. Das Gehirn wird auf den verschiedensten Wahrnehmungskanälen trainiert, der Sinngehalt und das emotional-unbewusste Erleben während des Schreibens verankern sich besser und erhöhen nachweislich die Merk- und Erinnerungsfähigkeit.
Von Hand zu schreiben kann aber auch gleichzeitig eine Form der Therapie sein. Beim Formulieren begeben wir uns in eine mediative Versenkung und beziehen gleichsam unseren Körper in den Prozess des Schreibens ein. Ein wahrlich holistischer Vorgang. Damit werden zudem kreative Potenziale gehoben und neue Sichtweisen auf den Inhalt des Geschriebenen ausgeprägt. Und noch ein Nebeneffekt: Mit Zettel und Stift bewaffnet werden wir regelmäßig disziplinierter im Umgang mit unseren Gedanken; wir denken oftmals klarer und ergebnisorientierter.
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr freiwillig emeritierter (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2025 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de

5. März 2025 at 20:12
Ja es sieht ganz ähnlich aus.
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5. März 2025 at 15:27
Taue wie die Windungen in unserem Gehirn …
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5. März 2025 at 14:40
bzw. aus Tauen..
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5. März 2025 at 14:39
Ein Kunstwerk aus Seilen
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