
Nun, da dem Auslandsurlaub einige Schikanen innewohnen könnten, bleiben wir doch lieber im eigenen Land. Und so reifte der Entschluss, mal wieder ein technisches Denkmal deutscher Ingenieurbaukunst zu bestaunen: das Schiffshebewerk Niederfinow. Auch in der leisen Hoffnung, an einem Wochentag im August dort etwas Entspannung und Ruhe zu finden …
Doch weit gefehlt: Offensichtlich wollten alle Brandenburgurlauber an eben diesem einen Wochentag zum Schiffshebewerk nach Niederfinow … Und so quälten wir uns von Anstehschlange zu Anstehschlange: zum Mittagessen, zum Erstehen von Eintrittskarten, zum Bezahlen der Parkchips …

Im Jahre 1905 beschloss die Preußische Regierung, einen Großschifffahrtsweg von Berlin nach Stettin zu bauen. Der bisher genutzte 2. Finowkanal war an seine Grenzen gestoßen. Für die Umsetzung eines solchen Kanalbauwerks mussten jedoch 36 Meter Höhenunterschied überwunden werden. 1908 entschloss man sich im Ergebnis eines öffentlichen Wettbewerbes, eine Schleusentreppe zu errichten. Sie wurde 1912 in Betrieb genommen. Parallel dazu wurden Pläne für ein Senkrechthebewerk weitergetrieben, dessen Umsetzung mit dem Beginn des 1. Weltkrieges leider nicht mehr zustande kam.

In den Jahren bis 1923 wurden die Pläne weiterverfolgt und endlich 1927 mit dem Bau eines Hebewerks mit Trog und Ausgleichsgewichten begonnen. Der Bau dauerte sieben Jahre und es entstand ein technisches Meisterwerk, das bis heute ohne größere Probleme in Betrieb ist (und wohl wegen der Verzögerungen am neuen Bau noch bis 2025 (?) weiter betrieben wird).

Die Schleusentreppe wurde bis 1972 betrieben. Dann entstanden erste Gedanken zum Bau eines leistungsfähigeren Hebewerkes, um den neuen, längeren Schubverbänden gemäß den internationalen Maßstäben die Passage zu ermöglichen.

Die „Schleusung“ deuert etwa 20 Minuten. Das geschieht in einem Bauwerk, das insgesamt 60 Meter hoch, 94 Meter lang und 27 Meter breit ist. Das Gewicht der Anlage beträgt 14.000 Tonnen, die mit fünf Millionen Nieten zusammengehalten werden. Für Touristen fährt regelmäßig ein Ausflugsschiff, die „Freiherr von Münchhausen“, mit der man jeweils eine Hub- und Senktour erleben kann.

Die Verbindung des Oder-Havel-Kanals mit dem eigentlichen Hebewerk erfolgt über eine Trogbrücke, die ein Gewicht von 4000 Tonnen hat. Der Trog selbst ist mit Wasser 4290 Tonnen schwer, 85 Meter lang und 12 Meter breit. Der Trog hängt an 256 Stahlseilen, die über Umlenkrollen mit 192 Gegengewichten verbunden sind und mit ihren 4290 Tonnen Gewicht den beladenen Trog ausgleichen.

Durch die geschickte Ausbalancierung ist für den Hub- und Senkvorgang nur eine geringe elektrische Energieleistung aufzubringen: Für die enorme zu transportierende Masse reichen vier Elektromotoren mit einer Leistung von je 55 kW aus.

Viele Fotografien aus den Jahren der Bauzeit sind auf dem Zuschauerumgang zu bewundern. Sie zeigen in chronologischer Reihenfolge die einzelnen Errichtungsetappen und Meilensteine des Hebewerks.

1992 wurden die konkreten Planungen für den Bau eines neuen Schiffshebewerkes aufgenommen. Der neue Trog soll Schiffslängen von bis zu 110 m aufnehmen können und eine Trogtiefe von 4 Metern aufweisen, um auch „Großmotorgüterschiffe“ aufnehmen zu können. Beschlossen wurde der Bau offiziell 1997, die Gründungsarbeiten begannen 2006. Leider gibt es seit vielen Jahren immer wieder Bauverzögerungen – der Flughafen Berlin-Brandenburg lässt grüßen! Bis 2025 muss es wohl dann doch gelingen; denn dann soll das alte Hebewerk seinen Dienst endgültig einstellen.

Von der Zuschauerbrücke aus 60 Metern Höhe hat man einen wunderbaren Blick auf den Oder-Havel-Kanal Richtung Polen über die Landschaft des Oderbruchs. Links ist die Kanalverbindung des neuen Hebewerkes zu sehen.

Es ist schon interessant, dass die grundsätzliche ingenieurtechnische Lösung sich an der alten aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts orientiert – nur eben ein wenig größer, im modernen Look und mit viel mehr Beton als Stahl. Auch hier gibt es Plattformen und Umgänge für Zuschauer, die den Hebevorgang hautnah miterleben können.

Die beiden Schiffshebewerke sind sehr gut mit dem Auto zu erreichen und liegen etwa eine Fahrstunde von Berlin entfernt. Busunternehmen bieten Pauschalreisen hierher an. Die Parkplätze wurden vor einigen Jahren erweitert und die gastronomischen Einrichtungen bewältigen den Ansturm der Schaulustigen recht gut, was bis vor etwa 12 Jahren nicht der Fall war.

Die Besucherplattformen des historischen Hebewerkes sind über leicht ansteigende Wege gut erreichbar. Leider kann man die letzte Etappe bis zur Plattform nur über eine Treppe erreichen, was Gehbehinderten keine Möglichkeit für einen Blick von ganz oben bietet.

Der Eintritt kostet für Normalos 3,- €, ebenso die Parkgebühr, die für einen unbeschränkte Einstellzeit gilt.

Die Umgebung lädt neben den vielfältigen Wassersportmöglichkeiten außerdem zum Wandern und Radfahren ein. Unweit der Hebewerke kann man die Kurstadt Bad Freienwalde besuchen, die über das nördlichste Skisprunggebiet Deutschlands verfügt. Sehenswert das Schloß Bad Freienwalde, dass der frühere deutsche Außenminister Walter Rathenau erwarb und wo er bis zu seiner Ermordung einem schriftstellerischen Schaffen nachging.

Ein Besuch lohnt sich – am besten bei klarem Wetter mit guter Fernsicht und möglichst wenig Publikum – also eher außerhalb der deutschen Ferienzeiten …

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße
Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für Senioren
© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
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