
Vorige Woche stand ich im Präsenzseminar mit Langzeitarbeitslosen vom Jobcenter und Rekonvaleszenten der Rentenversicherung. Wir sprachen über unsere familiäre Herkunft, über die eigene Biografie, über Geschwisterfolgen und unsere Position in Mehrgeschwisterfamilien. Und was wir von unseren Eltern gehört, wahrgenommen, gelehrt und eingeredet bekamen. Mit den besten Absichten natürlich, um gefahrfrei und behütet aufwachsen zu können …
Kurz: Wir redeten über alle Gebote und Verbote, Einredungen und Einschärfungen, die uns unsere Eltern mitgegeben haben. Und was uns wohl in der Kindheit und Jugendzeit – bewusst oder unbewusst – bis in das höhere Erwachsenenalter geprägt hat (und womöglich weiter prägt). Dabei stellte sich heraus, dass auch die Stellung in der Geschwisterfolge eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Wenn man in die Runde nach den Erfahrungen der Einzelkinder, der Ältesten, der Jüngsten sowie der Sandwiches in Mehrgeschwisterfamilien fragt, dann gibt es teilweise signifikante Unterschiede in der Wahrnehmung und der Speicherung der früher erhaltenen Botschaften.
Die Ältesten waren einmütig der Ansicht, dass sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern mussten – sie hatten quasi einen Erziehungsauftrag von den Eltern gehört. Die Sandwiches zwischen Ältestem und Jüngstem mussten eher kämpfen und/oder diplomatisches Geschick beweisen, um nicht unterzugehen. Die Jüngsten fühlen sich mehrheitlich als verwöhnte Nesthäkchen, obwohl es auch das andere Extrem gab nach dem Motto: „Du bist eine(r) zu viel!“
Und in dieser Diskussion erinnerte ich mich an meine persönliche Bindung an die eigenen Eltern. Und damit an die Ermahnungen und Vorgaben, die ich als Einzelkind in meiner Kindheit und Jugendzeit so erfuhr. Und woran sich mein inneres Kind, das noch über eine zeitnahe, authentische Erinnerung an die Eltern der Kindheit verfügt, noch heute gebunden fühlt. Mir war klar, dass ich eher ein angepasstes als ein freies oder gar rebellisches Kind war. Immer wieder darauf bedacht, Liebe von den Eltern zu erheischen und dafür alles zu tun, dass das so bleibt. Da war die Angst, sie vielleicht zu verlieren wegen eines Familienstreites, der eine Scheidung nach sich ziehen könnte. Und in der Tat: es ist häufig so, dass gerade Einzelkinder sehr darauf bedacht sind, die Elternteile in Krisenzeiten zusammenzuhalten oder gar wieder „aneinander zu binden“. Dafür ist ihnen (fast) jedes Mittel recht. Weil sie so schnell keine Bindungsalternative finden, wie das z. B. unter Geschwistern möglich ist.
Einige der mentalen Anbindungen an meine Kindheit und Adoleszenz verspüre ich heute noch als verbindliche Aufträge – sie machen sozusagen einen Teil der Generativität aus, die mir meine Eltern mitgegeben haben. Von manchen dieser Aufträge habe ich mich als erwachsener Mensch losgesagt, weil sie sich in bestimmten Lebenssituationen als hinderlich erwiesen. Andere hinterfrage ich in besonderen Entscheidungssituationen. Doch es gibt auch welche, an die ich mich weiter innerlich gebunden fühle, weil ich sie immer noch für nützlich, ethisch korrekt oder einfach nur praxistauglich halte.
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße
Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
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