
Frühere Lebensphasenmodelle wurden gern mit Hilfe einer Lebenstreppe dargestellt: Sie führte erst die Stufen nach oben, bis hinauf zum 50. Lebensjahr, und dann wieder hinab – in den Tod hinein. Diese Modelle gingen davon aus, dass der Mensch etwa zur Mitte seines Lebens im Zenit seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten ankommt und danach kontinuierlich abbaut und degeneriert. Dem Verfall preisgegeben ohne Aussicht auf ein vitales, selbstbestimmtes und erfülltes Leben.

In den 60er Jahren begann die Kehrtwende und die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die dritte Lebensphase keineswegs defizitär ist. Der alternde Mensch würde seine Lebenserfahrung und seine mannigfaltigen Kompetenzen für die späte Lebensbewältigung einsetzen. Er habe während eines turbulenten Lebens Einsichten gewonnen, Fähigkeiten erworben und Strategien entwickelt, die ihm im Alter für die aktive Gestaltung der Ruhestandsphase zugute kommen. Und das Alter wandelt sich weiter. Das Älterwerden, so heißt es, wird immer besser. Wo man früher bereits das Ende erwartete, öffnen sich heute neue Horizonte für eine schönere Zeit, als sie jemals gewesen war. Die früheren 80er sind heute die späten 60er.
Und hier spielt eine Managementtheorie eine nicht zu unterschätzende Rolle: Die „Theorie U – von der Zukunft aus führen“. Einst von Otto Scharmer für die Innovationsfähigkeit von Führungssystemen ersonnen, kann sie heute als mögliche Blaupause für die Glücks- und Zufriedenheitskurve der biografischen Entwicklung dienen. In ihrem Kern geht die „Theorie U“ vom Ursprung menschlichen Handels aus und sucht die Quellen für mehr Zukunftsfähigkeit. Dazu bedarf es eines Innehaltens (das Denken öffnen), einer Kehrtwende (das Fühlen öffnen) und eines Loslassens (den Willen öffnen) von den althergebrachten Abläufen, um einen Zustand von vollkommener Aufmerksamkeit bei gleichzeitig fokussierter Wahrnehmung der aktuellen Situation zu erreichen. Auf das Alter übertragen bedeutet das: Der Übergang vom Beruf in den Ruhestand sollte ein Prozess der wertschätzenden Reflexion, der Verlagerung von vernunftgetriebenen Motivatoren hin zu gefühlsmäßigem Handeln und konsequentem Loslassens vom bisherigen Beruf sein. Dann ist die „Späte Freiheit“ zukunftsfähig und garantiert einen hohen Grad an Zufriedenheit.
Schon in den neunziger Jahren stellte der Ökonom Andrew Oswald fest, dass die Zufriedenheit der Menschen über die Lebenszeit betrachtet der Form eines „U“ folgt. Bei der Untersuchung der Umstände, die zu Glück und Lebensfreude führen, stellte er fest, dass das Alter einen großen Einfluss auf die persönliche Zufriedenheit hat. Die Jungen waren sehr zufrieden, dann ging es während der Berufszeit bis etwa zur Lebensmitte bergab, um dann im reiferen Erwachsenenalter wieder auf das Niveau der Jugendzeit anzusteigen. Heute spricht man vom „Zufriedenheitsparadoxon“, das im Kern beschreibt, wie sich das Lebensgefühl trotz schlechterer äußerer Umstände, größerer Krankheitsanfälligkeit und zunehmender Einschränkungen im Alter subjektiv verbessert. Untersuchungen von Oswald auf der ganzen Welt und besonders in den USA zeigten, dass Stress, Ärger und Frustrationen mit den Jahren abnehmen. Nach einem Zufriedenheitstiefpunkt, der bei den Europäern bei etwa 47 Jahren, bei den Deutschen laut „Glücksatlas“ der Deutschen Post (!) bei etwa 55 Jahren liegt, folgt noch einmal ein Glückshoch!

Auch andere Forscher kamen zu ähnlichen Ergebnissen. So erklärt der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Hannes Schwandt, dass Menschen mit 23 und 69 Jahren am zufriedensten seien. Belegt sind diese Lebensjahreszahlen erst ungenügend. Es scheint aber festzustehen, dass die frühen Zwanziger super sind, das Tief sich zwischen Mitte 40 und Mitte 50 bewegt und der zweite Lebenshöhepunkt gegen Ende 60 und Anfang 70 zu erwarten ist. Dieses Phänomen hat nach Aussage von Wissenschaftlern viel mit der sog. „erwarteten Zufriedenheit“ zu tun. Das bedeutet, dass junge Menschen mit großer Energie und viel Optimismus ins Leben starten, jedoch bald merken, dass ihre hochfliegenden Utopien, schönen Träume und hohen Erwartungen an das Leben sich nicht so verwirklichen, wie sie erwarten. Aus dem Traumjob wird ein Alptraum, nach der Traumhochzeit entwickelt sich ein Ehedebakel. Die erhofften glorreichen Perspektiven treten nicht ein und die Zuversicht an die Zukunft schwindet. Und mit der Zeit passen sich die Erwartungen den realen Möglichkeiten der Umwelt an, die Einsicht an die Begrenztheit der Aussichten nimmt weiter zu und auch die Hoffnung auf Besserung. Scheidungen und Suizide aus Enttäuschung über das Leben nehmen mit den auslaufenden Vierzigerjahren zu. Der Tiefpunkt im „U“ wird jetzt erreicht. Mit der Aussicht jedoch auf eine Zeit der beruflichen Freiheit und der Erkenntnis, dass das Leben mit jedem Tag wertvoller wird, weil uns bewusst wird, dass es begrenzt ist, steigt unsere Zufriedenheitskurve wieder an. Auch verschieben sich die Prioritäten. Materieller Wohlstand (allein) ist nicht mehr vorrangig: Nicht nur unterbewusst wird den meisten klar: SEIN IST WICHTIGER ALS HABEN.
Auch verlängert sich der rechte Schenkel des „U“ immer mehr. Denn unsere Lebenserwartung hat sich seit 1870 mehr als verdoppelt. Männer können mit einem statistischen Durchschnittsalter von ca. 78 Jahren rechnen, Frauen mit gut 83 Jahren. Der Deutsche Alterssurvey, regelmäßig vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) in Berlin herausgegeben, konstatiert, dass sich die große Mehrheit der 55- bis 69-Jährigen als gesund einschätzt. Bei den bis zu 85-Jährigen meint das immer noch die Hälfte! Und hierin liegt auch eine gewisse Krux: Die jungen Alten sind topfit und gehen in die Rente, den alten Alten geht es regelmäßig sehr schlecht. Und damit bekommt das „U“ am Ende ein wieder nach unten zeigendes kleines Schwänzchen als Zugabe. Die Kurve der Zufriedenheit geht am Lebensende (leider) steil nach unten.
Neben der Prozessabfolge im Managementmodell „U“ korreliert der Zufriedenheitsverlauf im Leben erstaunlicherweise auch mit einer hormonellen Besonderheit. Die Jugend ist geprägt durch das Glückshormon Dopamin, durch ekstatische Gefühle beim Erkunden der Welt und die positive Erwartungshaltung zum Leben. Adrenalin und Kortisol beflügeln uns für die Problemlösungen in der Lebensmitte, für die Bewältigung der Alltagsaufgaben und die Sicherung des Existenz. Die Produktion von körpereigenem Morphium bewirkt dann die Gelassenheit und Zufriedenheit im Alter. Jetzt können wir uns gemütlich zurücklehnen, die Biografie wohlwollend reflektieren und das weitergeben, was man unter Generativität versteht: das „finale Glück des Vermächtnisses“ (so der Neurowissenschaftler Tobias Esch) auskosten, Geschichten, Erfahrungen und Erkenntnisse weitergeben an die Nachfolgenden sowie Materielles und Immaterielles vererben.
Wie sagte doch der frühere deutsche Rekordschwimmer Michael Groß: „Man kann die zweite Lebenshälfte nicht nach dem Muster der ersten leben.“ Weder hormonell noch gemäß der „Theorie U“ …
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
© Aktualisiert Wolfgang Schiele 2023 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
1. März 2021 at 17:14
Thanks for sharing.
Alles Gute
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
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