
Bereits seit einiger Zeit lässt mich die Frage nicht los, was mehr Einfluss auf unsere persönliche Veränderung nimmt: die Vergangenheit mit ihren Erkenntnissen und Warnungen oder die Zukunft mit ihren Wagnissen und Möglichkeiten. Oder anders gesagt: Wollen wir mit dem Wissen aus unserer Vergangenheit die Fehler der Zukunft vermeiden oder mit der Wissenschaft von heute Visionen von Morgen gestalten? Ist die verflossene Geschichte der Menschheit unser bestimmender Lehrmeister oder ist die Wissenschaft der ausschlaggebende Wegweiser in eine lebenswerte Zukunft? Leben wir mehr aus der Vergangenheit oder wollen wir mehr Zukünftiges, mehr Danach? Oder noch anders: Hängen wir eher am „weg-von-Fehlern-der Vergangenheit“ oder „hin-zu-den-Chancen-der-Zukunft“?
Die Geschichte der Menschheit hat sich bis vor gar nicht langer Zeit an der Krisenbewältigung der Vergangenheit orientiert. So, als ob uns die Geschichte uns den einzig richtigen, den tugendhaften Weg in die Zukunft vorgibt und dies die sinnvollste Denkrichtung sei, die unser Fortkommen steuert. Fast unsere komplette Existenz orientiert sich noch immer an der Vergangenheit. Das ist u. a. deshalb so, weil wir uns die Modelle und Bilder der Zukunft nicht zumuten wollen, sind sie doch – was Klimawandel, Pandemien und Umweltkatastrophen angeht – bedrohlich und eher negativ besetzt. Und obwohl die Wissenschaft ihre Zukunftsprognosen auf einen mächtigen Fundus an Vergangenheitsdaten aufbauen kann und dadurch immer berechenbarer und objektiver wird, zweifeln wir an den Vorhersagen und den modellierten Ergebnissen. Denn eines ist unbestritten: Das Vergangene ist unumstößlich, es ist wie es ist. Mit der Zukunft sieht das anders aus: Sie besteht aus einer Reihe von Ungewissheiten und Unwägbarkeiten. Wir können uns immer noch eigene Alternativen ausmalen und Modellen hinterherlaufen, die schmeichelhafter sind, als die Horrorszenarien einer Welt, die für den Menschen kein Garten Eden mehr sein wird.

Ich befürchte (zu Recht?), dass die Mehrheit der Menschen „Weg-von-Typen“ sind: Sie orientieren sich an den Botschaften der Vergangenheit und wollen Fehlervermeider sein. Doch die Gefahr liegt in der Zukunft, und dafür brauchen wir viele „Hin-zu-Typen“. Menschen, die sich auf neue Ziele einstellen, Probleme in Chancen umwandeln und sich vorbehaltlos den akuten Fragen der Zukunft stellen. Die mit der Offenheit für Krisen und die Neugier für menschheitsrelevante Lösungen aktiv die Welt verändern. Und nicht die, die aufzeigen, wie schön es doch früher war und was man alles dafür tun müsse, damit das wieder so werde. Nein – wir benötigen einen fokussierten Blick nach vorn. Nicht die rückwärtsgewandte Sehnsucht nach dem vermeintlichen Paradies, nach verklärten Erinnerungen. Sondern die Hinwendung zu einer Zukunft, die in nie gekanntem Tempo auf uns zurollt und der wir unser ganzes Wissen und unsere Vernunft entgegensetzen müssen.
Wie schrieb Maximilian Probst in der ZEIT N° 54: „Die Frage, wo wir herkommen, scheint den meisten wichtiger, als die Frage, wo wir hinwollen.“ Wir lernen immer noch die deutschen Klassiker in der Schule, obwohl doch gute Science Fiction als Orientierung und Leitschnur angesagter wäre. Wir denken immer noch, dass alles um uns herum so bleibt, wie es immer war – der Menschheit würde auch zu den Gefahren des Klimawandels in 50 Jahren noch etwas Rettendes einfallen. Wir glauben fest daran, dass die Zeiten grenzenlosen Wachstums unendlich weitergehen. Wir sind weiterhin überzeugt davon, dass wir Besitz und Reichtum weiter exponenziell mehren können, wie das seit dem Beginn des Manchesterkapitalismus und der Industrialisierung der Fall ist. Wir leben immer noch in einer Art Historismus, die uns den Blick auf Unvorhersehbares verstellt und Skepsis und Zweifel über die Zukunft sät, obwohl sie doch längst unüberhörbar an unsere eigene Haustür geklopft hat.
Versuchen wir eine gedankliche Kehrtwende. Zurück in die Zukunft. Mit dem Blick nach vorn und an den Herausforderungen des Morgen orientiert. Wagen wir Unbekanntes, denn die existenzbedrohenden Herausforderungen allein mit den Erfahrungen der Vergangenheit zu lösen, wird wohl nicht möglich sein.
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße
Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
© Wolfgang Schiele 2021 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
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