
Die Realität belegt klar und deutlich: Menschen im fortgeschrittenen Alter haben es schwer, sich erfolgreich für einen (neuen) Job zu bewerben. Das fängt bei den Mitvierzigern an und steigert sich dann proportional zu den Lebensjahren. Hin zum Schlechten. Dabei verfügen die Älteren unter uns doch über einen riesigen Fundus an Erfahrungen, Kompetenzen und Fähigkeiten. Wie können wir unsere Chancen steigern, doch noch eine bezahlte Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu ergattern?
Klassiche Stellenbewerbung
Erst einmal wäre da eine Unmenge an gedruckten Ratgebern, die uns Schritt für Schritt zeigen, wie wir eine akkurate, lückenlose und inhaltsreiche Bewerbung aufsetzen. Nach klar vorgegebenen Regeln, perfekt gegliedert und peinlich sauber zusammengestellt.
Dann gibt es Lehrgänge, Seminare und Online-Kurse, die uns sowohl die Erstellung von Lebenslauf und Fähigkeitsprofil erklären, uns psychisch stark machen wollen und uns sogar in Rollenspielen für ein Bewerbungsgespräch üben.
Für Arbeitslose gibt es von den Arbeitsämtern finanzierte Einrichtungen, in denen man von speziell ausgebildeten Jobcoaches trainiert wird und den perfekten Bewerbungsprozess einstudiert.
Das Dilemma der Alterskultur in Deutschland
Trotzdem ist die Quote eingestellter älterer Menschen unterdurchschnittlich gering. Machen sie trotz der vielseitigen Unterstützung, der makellos erstellten Unterlagen und der einstudierten Verhaltensregeln etwas falsch? Oder sind die Aversionskultur von Personalverantwortlichen und beschränktes Unternehmensdenken gegenüber Menschen um und über die 50 derart massiv und hartnäckig, dass es aussichtslos erscheint, einen Großteil seiner Zeit und Energie über diesen Weg für den Wiedereintritt ins Arbeitsleben zu investieren?
Kreativität ist das Zauberwort im Kampf gegen den Formalismus
Wenn es denn mit den regelkonformen, exakt nach Vorschrift abgefassten und klassisch-steifen Bewerbungen nicht klappt – was hält Sie denn davon ab, sich einmal völlig unkonventionell zu bewerben? Was kann passieren, wenn Sie anstelle der hundertsten formellen Bewerbung nun in Ihrer Kreativschublade kramen und innovative, ausgefallene Anfragen versenden, die nicht gleich untergehen im Wäschekorb der ewig monotonen Gesuche nach dem 0815-Muster?
Auf Augenhöhe
Nutzen Sie den psychologischen Engpass aus, den das Buzzwort „Fachkräftemangel“ ausstrahlt. Warten Sie nicht auf Angebote aus Wirtschaft und Verwaltung, sondern werden Sie selbst aktiv. Machen Sie sich dabei nicht kleiner, als Sie wirklich sind. Sie sind in einer zunehmend günstigeren Verhandlungsposition als noch vor einigen Jahren. Sie können heute (fast) in Augenhöhe verhandeln. Machen Sie sich (und natürlich dem Unternehmen) klar, dass genau Sie der/die Richtige sind in Zeiten immer knapper werdender Arbeitskräfte.

Bewerben Sie sich nicht auf eine konkrete Stelle …
… sondern finden Sie heraus, welche Ihrer besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten gebraucht werden könnten in einem Unternehmen Ihrer Wahl. Suchen Sie sich Ihren Wunschbetrieb aus und schreiben Sie eine Initiativbewerbung, in der Sie sich anbieten, das Unternehmen mit Ihren ganz speziellen Kompetenzen zu unterstützen und noch erfolgreicher zu machen.
Entscheider als Adressaten Ihrer Bewerbung finden
Finden Sie heraus, welche Struktureinheiten im Unternehmen die von Ihnen zu unterbreitenden Leistungsangebote benötigen könnten. Und versuchen Sie in einem zweiten Schritt, die Führungskraft namentlich zu finden, die fachlich für Personalentscheidungen verantwortlich ist. Nützlich bei Ihrer Suche können u. a. die sozialen Netzwerke, wie LinkedIn und Xing, sein. Geben Sie über die dortigen Suchfunktionen zielführende Schlagworte ein. Ich persönlich habe über diesen Weg sehr viele Kontakte kennengelernt und z. B. etliche Seminaraufträge generieren können.
Flexibilität ist Trumpf
Seien Sie dabei flexibel und offen bei der Art und Form der auszuführenden Arbeiten. Es muss nicht eine ganz konkrete Stelle sein, auch kein Vollzeitjob oder ein unbefristetes Angestelltenverhältnis. Bieten Sie sich an als Mentor mit Ihrem großen Erfahrungswissen, schlagen Sie für´s Erste eine Mitarbeit von Ihrem Homeoffice aus vor, zeigen Sie Bereitschaft für die Mitarbeit an einem zeitlich befristeten Projekt, erlegen Sie sich selbst eine Probezeit auf, bieten Sie sich an als Interimslösung für eine(n) MitarbeiterIn in Elternzeit …
Ein umfassendes Kompetenzenbild entwerfen
Noch bevor Sie Ihre erste Initiativbewerbung schreiben, sollten Sie sich klar und bewusst darüber sein, über welche geballten Kompetenzen Sie verfügen. Was sind Ihre herausragenden Stärken? Was können Sie besonders gut? Beleuchten Sie hierzu auch die Fähigkeiten, die Sie bisher auch außerhalb des Berufes, z. B. durch Ihre Ehrenamtstätigkeit, aus Ihrem liebsten Hobby heraus oder als Haushaltsvorstand in der Familie besonders gut beherrschen. Und bestimmen Sie Ihre ganz persönlichen „Charakterstärken“. Davon gibt es 24, die Sie testen können unter http://www.persoenlichkeitsstaerken.ch/. Bauen Sie die Top 3 bis Top 5 davon geschickt in Ihr Bewerbungsschreiben ein.

Bringen Sie sich ins rechte Bild
Verzichten Sie auf das klassische, womöglich biometrische Foto in Ihrem Lebenslauf. Laufen Sie zu Bestform auf und lassen Sie sich ablichten in Aktion. Bei der Ausübung Ihrer Kernkompetenz, im Gespräch mit Ihren Kunden, bei der Darstellung Ihrer Fertigkeiten. Zeigen Sie dem Entscheider, wie es aussehen könnte, wenn Sie für sein Unternehmen aktiv werden. Sie dürfen auch ein Foto nutzen, das über die Abmaße eines üblichen Passfotos hinausgeht. Aber bitte nicht übertreiben oder ein Fotoalbum daraus machen …
Lebenslauf als Timeline darstellen
In meinen Seminaren durchlaufen wir die sogenannte „Heldenreise“ – einen geistigen Spaziergang durch die Höhen und Tiefen unserer Vergangenheit. Jedes „signifikante emotionale Ereignis“ (SEE) wird am Zeitpunkt seines Auftretens auf einem Bandmaß mit einem Smiley versehen. Nehmen Sie z. B. ein Papiermaßband vom Baumarkt und kleben Sie es sauber auf ein Blatt Papier. Markieren Sie mit Pfeilen etc. auf ihm die Altersjahre, in denen Sie einen wichtigen Lebensabschnitt bewältigt, einen wichtigen Abschluss erworben oder ein maßgebliches Projekt erfolgreich abgeschlossen haben. Schreiben Sie jeweils ein paar Stichworte an diese Stellen.
Alterskompetenzen nicht vergessen
In der Vergangenheit habe ich immer wieder festgestellt, dass wir uns genau dann, wenn wir sie bräuchten, keinen oder nur beschränkten Zugang zu unseren Kompetenzen haben. Ich habe bei meinen Recherchen zu den beruflichen Vorzügen der reiferen Generation einige wichtige Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammengetragen, die Ihnen – vor allem in einem direkten Bewerbungsgespräch – zupass kommen könnten. In meinen Blogbeiträgen „3 x 3 Kompetenzen, die für die Generation 50plus typisch sind …“ können Sie sie nachlesen: https://wp.me/p7Pnay-fD, https://wp.me/p7Pnay-kq und https://wp.me/p7Pnay-m3.
Vermittlerplattformen für Jobs im Alter
Im Internet gibt es verschiedene Vermittlungsplattformen für Menschen im Alter ab 50. Eine interessante ist Masterhora (www.masterhora.de). Es verbindet Unternehmen mit älteren Fachspezialisten und Experten. Viele hundert Anbieter sind hier auf der Suche nach Fachleuten im Ruhestand; insbesondere für zeitlich begrenzte Projektarbeiten oder Spezialeinsätze. Hier entstehen neue temporäre Beschäftigungschancen und das Fachwissen der ausgeschiedenen Seniorexperten wird bewahrt, gepflegt und neu genutzt.
Seien Sie konservativ im Alter
Auch wenn heute – unbestätigten Untersuchungen zufolge – etwa 50% aller Stellen über eine Online-Bewerbung vergeben werden sollen: Bleiben Sie bei der klassischen Form einer schriftlichen Bewerbung (wenn Sie eine tolle Handschrift haben – vielleicht sogar ohne Computerdruck …?). Die Ausschreibungen im Netz folgen starren Regeln, die weder Kreativität noch Individualität zulassen. Im reifen Bewerbungsalter kann eine Papierbewerbung authentischer wirken als eine E-Mail. Versuchen Sie, unverwechselbar aufzutreten, mit einem Alleinvertretungsmerkmal, einer Kernkompetenz, über die nur Sie verfügen.

Bieten Sie meßbaren Nutzen an
Nur wenn Sie dem Unternehmen für Ihre Dienste wertvoll erscheinen, sind Sie interessant. Schreiben Sie auf, welche neue Chancen dem Unternehmen durch Ihren Eintritt entstehen, welche zusätzlichen Geschäftsfelder sich mit Ihnen erschließen lassen, welche Problemlösungskompetenz Sie mitbringen (Alterskompetenzen!). Wenn vorhanden: Verweisen Sie auf Erfolge in der Vergangenheit, auf die Wertschätzung, die Ihnen entgegengebracht wurde und ggf. auch auf den Verlust, den das Unternehmen hätte, wenn Sie woanders anfingen.
Visionen und Trends entwickeln
Machen Sie Angebote, bevor das Unternehmen selbst darauf kommt, was es am Markt nachfragen könnte. Denken Sie wie ein Unternehmer für den Betrieb, für den Sie arbeiten wollen. Formulieren Sie so, dass der Entscheidungsträger neugierig wird auf die Ideen, die Sie einbringen könnten. Deuten Sie neue Entwicklungstrends an, seien Sie ein wenig visionär. So, als ob Sie bereits eingestellt wären …
Kreativer Nachtrag
Vor einiger Zeit las ich von einer Bewerbung auf eine Produktentwicklerstelle. An den Beginn seiner Bewerbung hatte der Kandidat drei persönliche Eigenschaften gestellt, die der potenzielle Arbeitgeber von ihm nicht erwarten durfte (etwa diese: Teamfähigkeit, permanente Erreichbarkeit, Überstundenarbeit). Erst danach trumpfte er mit seinen vielfältigen Vorzügen auf. Was meinen Sie: Hat er den Job bekommen? Ja, er bekam ihn! Was ein Arbeitgeber aus einer förmlich korrekten Bewerbung nämlich nicht herauslesen kann, sind die persönlichen Schwächen, die der Kandidat regelmäßig und legalerweise ausblenden darf. Die beschriebene Form bewahrt den Arbeitgeber jedoch vor bösen späteren Überraschungen: Beide Seiten wissen von vornherein, woran sie sind. Und noch eines: Offenheit und Ehrlichkeit in einer Bewerbung erhöhen u. U. die Chance, den Zuschlag zu erhalten.
Vielleicht testen auch Sie einmal eine unkonventionelle Form der Bewerbung. Sie müssen ja nicht gleich alle weiter oben beschriebenen Alternativformen zur Anwendung bringen!
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
3. März 2020 at 17:25
Da bleibe ich mal sehr gespannt …
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3. März 2020 at 13:33
Sehr guter Blogbeitrag – ein ganz wichtiger Punkt hast du jedoch nicht beleuchtet. Der verdeckte Stellenmarkt und wie man an diese Jobs kommt (Netzwerk). Ich bin gerade dran, einen Blogbeitrag nur zu diesem Thema zu schreiben.
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