Das Wertequadrat (nach N. Hartmann, F. Schulz von Thun und M. Varga v. Kibed)

In meinen beiden Blogbeiträgen aus dem Jahre 2018 habe ich gezeigt, dass das sog. „Wertequadrat“ (nach N. Hartmann, F. Schulz von Thun, M. Varga von Kibed u. a.) eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für Menschen im Übergang vom Beruf in den Ruhestand haben kann. An zwei Beispielen habe ich versucht, aus einschränkenden Werten oder Mängeln über dialektische Gegensätze, entwertende Übertreibungen und Überkompensationen zu einem ausbalancierten, möglichst optimalen Verhaltens-Zielwert zu gelangen. Zum einen begann der Entwicklungsweg beim Thema EINSAMKEIT, zum anderen beim AKTIONISMUS – beides Werteextreme, die einer erfüllten und selbstbestimmten Ruhestandszeit im Wege stehen dürften (siehe auch https://wp.me/p7Pnay-1cl und https://wp.me/p7Pnay-1dc).

Nun, da wir eine beispiellose Zeit durchleben, habe ich an wiederum zwei Beispielen Wertequadrate entwickelt, die ausgehend von der aktuellen BEDROHUNG und einer großen UNGEWISSHEIT nach ausbalancierten Verhaltensoptionen suchen. Sie stehen für eine Vielzahl von bedrückenden Erfahrungen potenzieller Klienten, die in oder nach der Coronakrise nach Lösungen suchen und auf externe Hilfe angewiesen sind oder sein werden. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Entwicklung des Quadrats und die Erreichung eines harmonischen Verhaltenswertes auch über abweichende Entwicklungstendenzen und „Tugenden“, als hier gezeigt, gelingen kann.

Starten wir das erste Beispiel mit dem (übertreibenden) Mangelwert, der UNGEWISSHEIT in Zeiten der Coronakrise. Diese Sorge und Unsicherheit über die persönliche und gesellschaftliche Zukunft stellt eine entwertende Übertreibung in Bezug zur UNBESCHWERTHEIT (hier auch Freiheit genannt) dar. Dieser positive Wert der Unbeschwertheit steht im dialektischen Gegensatz zur KONTROLLE über die augenblickliche Situation, die uns entzogen wurde. Sie müssen wir wiedererlangen, um unseren Selbstwert zu stärken und über unser Leben wieder selbst zu bestimmen. Gelingt uns das nicht, dann besteht die Gefahr, dass es durch einen existenzbedrohenden Kontrollverlust zu TODESANGST und PANIK kommen kann. Und diese stellt eine gefährliche Überkompensation zur UNGEWISSHEIT dar. Nun gilt es, in den beiden entwertenden Mängeln UNGEWISSHEIT und TODESANGST nach dem „Guten in der Übertreibung“ (M. Varga von Kibed) zu suchen und Entwicklungstendenzen in Richtung der beiden positiven Werte UNBESCHWERTHEIT und KONTROLLE zu aufzuspüren. Im aktuellen Beispiel entsteht im Schnittpunkt der Entwicklungslinien als ausbalancierter Wert eine flexible, dynamische Besonnenheit. (Alternativ könnte hier vielleicht auch „angepasste Gelassenheit“ stehen.) Mit diesem neuen Zielverhalten wird sowohl der einmaligen Ausnahmesituation entsprochen als auch eine angemessene Handlungsfähigkeit des Einzelnen gewährleistet.

Grafik: Wolfgang Schiele

Das zweite Beispiel geht von der latenten, schwer einschätzbaren und überall gegenwärtigen coronalen BEDROHUNG in unserem Alltag aus. Als Pendant in Form der progressiven Wertschätzung gilt vielen von uns die allgemeine SICHERHEIT, in der wir uns bis vor Kurzem in dieser Gesellschaft, im Rahmen der uns „geschützten heilen Welt“, noch wähnten. Doch Sicherheit kommt nicht von allein; dafür braucht es persönliches Engagement und die Überzeugung, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten etwas bewirken können (Kontrollüberzeugung). Die SELBSTWIRKSAMKEIT wird zum oft „übersehenen“ zweiten positiven Wert, wie ihn Varga von Kibed nennt. Der ihr gegenüber stehende entwertende Mangel ist die (erlernte) HILFLOSIGKEIT, die der außergewöhnlichen viralen BEDROHUNG als überkompensierendes Phänomen gegenübersteht. Und wieder gilt es die „guten Anteile“ in den Mangelwerten zu erkennen. Ausgehend davon müssen wir eine Verbindung zu den in positiver Spannung stehenden Pluswerten SICHERHEIT und SELBSTWIRKSAMKEIT entwickeln. Im Kreuzungspunkt der Trendlinien zwischen den beiden Mängeln und den positiven Tugenden kristallisiert sich hier das selbstständige, aktive Handeln heraus, das uns die Hilflosigkeit nimmt und der Bedrohung entschlossen entgegentritt.

Die Arbeit mit dem Wertequadrat zeigt mögliche entlastende und kraftentfaltende Alternativen zu Blockaden, sebstbehinderndem Verhalten oder anderen ungewohnten Belastungen auf. Immer wieder sollte ein auf den jeweiligen Klienten zugeschnittener Ansatz gewählt werden. Insofern wird sowohl die konkrete Wertewahl in den einzelnen Schritten als auch der Verhaltenszielwert differieren können.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße

Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für Senioren

© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de