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Wenn man vom „Drei-Instanzen-Modell“ der Psyche von Siegmund Freud ausgeht, dann befindet sich das ICH, unser Verstand, im Spannungsfeld unseres ES, das dem Lustprinzip folgt, und unseres ÜBER-ICHs, das als moralische Instanz arbeitet. Um in diesem Zwiespalt, diesem Kontrast, eine reelle Überlebenschance zu haben, hat sich unser Gehirn Kompensations- und Bewältigungsmechanismen zugelegt, die innerseelische und zwischenmenschliche Konflikte verarbeiten können. Es ist wohl Anna Freud, der Tochter des großen Psychoanalytikers zu verdanken, dass wir heute über eine umfangreiche Vielfalt von gut beschriebenen und alltagstauglichen Abwehrmechanismen verfügen, die verständlich und einleuchtend sind.

In loser Folge versuche ich – belegt u. a. durch Alltagsbeispiele – die jeweiligen Abwehrmechanismen zu erläutern. Manche kommen auf uns zu in milder Ausprägung. Ab und an treten sie aber auch in krankhafter, paranoider Form auf. Dann sind sie zwingend behandlungsbedürftig. Grundsätzlich gilt: Das gleiche Verhalten kann mal das eine, mal das andere sein. Entscheiden kann man nur, wenn man die Details der jeweiligen Situation beachtet und das Motiv, das hinter dem Verhalten steckt, erkennt.

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REGRESSION
Bei der Regression zieht sich unser Ich unbewusst in eine frühere, primitive Entwicklungsphase zurück. Wir erleben einen Rückfall in naiv-kindliche Verhaltens- und Ausdrucksmuster. Das selbstständige, erwachsene und vernunftgesteuerte Verhalten eines reifen Menschen wird zugunsten eines Liebes- oder Versorgungswunsches aufgegeben.

Wir wissen aus Erfahrung, dass unser kindliches Verhalten in jungen Jahren z. B. dazu geführt hat, dass wir geliebt und getröstet wurden. Je länger wir krank waren, desto mehr Pflege und Liebe wurde uns entgegengebracht, und wir nutzten diesen „sekundären Krankheitsgewinn“ oftmals weidlich aus. Wir haben auch gelernt, dass primitiv organisiertes Verhalten in anderen Situationen zum Ziel führen kann: z. B. durch nachdrückliches Trotzverhalten zur Durchsetzung von persönlichen Interessen und Befriedigung von Wünschen.

Regression im Alltag wird dann problematisch, wenn sie überzogen wird und sich von der Realität zu trennen versucht. Der Königsweg wäre ein ausgeglichenes Verhältnis von lösungsorientierter PROGRESSION (dem Vorgriff auf eine spätere – und vielleicht noch reifere Zeit) und zweckfreier Regression.

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RATIONALISIERUNG
Triebhafte und sozial nicht akzeptable Handlungen und Verhaltensweisen werden in Nachhinein (scheinbar) rational begründet. Dabei wird eine vertretbare, vermeintlich logische Erklärung abgegeben, um einer negativen emotionalen Auseinandersetzung mit sich selbst aus dem Wege zu gehen. Rational-logische Handlungsmotive unterbinden jegliche Selbstkritik und verfestigen persönliches Fehlverhalten.

Schlechte Schulnoten werden z. B. dadurch begründet, dass sie nichts über Intelligenz aussagen und im Übrigen sind auch große Erfinder und Entdecker sitzengeblieben. Der doppelte Schnaps nach dem Mittagessen diene der besseren Verdauung; er ist aber tatsächlich ein Ausdruck steigender Abhängigkeit vom Alkohol. Dass sie jeden Putzlappen bis zur Unkenntlichkeit weiter benutzt, hat nichts mit Knausrigkeit zu tun: es geschieht der Umwelt zuliebe.

Die Rationalisierung dient der Stärkung des Selbstwertgefühles. Denn sie soll als nachträgliche Selbstbestätigung dienen und eine übergreifende Selbstrechtfertigung darstellen. Das ständige Schönreden eigener Fehler ist jedoch am Ende kontraproduktiv, weil es uns die Chance nimmt, Fehler als Lernchancen zu begreifen.

Die nächsten beiden Abwehrmechanismen, über die ich praxisbezogen im nächsten Themenbeitrag schreiben werde, sind die SUBLIMIERUNG und die DEREALISATION. Wer den Startbeitrag lesen möchte – hier geht es lang: https://wp.me/p7Pnay-2rp.

Hier finden Sie die weiteren Beiträge zu den Abwehrmechanismen unserer Psyche:
PROJEKTION und VERDRÄNGUNG: https://wp.me/p7Pnay-2rY. PSYCHOSOZIALE ABWEHR und REAKTIONSBILDUNG: https://wp.me/p7Pnay-2sJ.
UNGESCHENMACHEN und KONVERSION: https://wp.me/p7Pnay-2t8.
IDENTIFIKATION und VERLEUGNUNG: https://wp.me/p7Pnay-2tE.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße

Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für Senioren

© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de