Obwohl die Positive Psychologie noch nicht überall die nötige Anerkennung erlangt hat und teilweise von den Schulpsychologen belächelt wird, sind ihre Interventionen bei Menschen in Krisen und Problemsituationen nachweislich wirksam und – was äußerst angenehm und sehr willkommen ist – leicht erlernbar. Sie eignen sich als Selbstmanagementübungen und bedürfen schon nach kurzer Zeit keiner externen Anleitung mehr. Hier sind sieben nachhaltige Beispiele für verlässliche Interventionen der Positiven Psychologie, die unser Wohlbefinden und persönliches Glück steigern können …

Savoring – die Kunst des Auskostens …

Unter Savoring („genießend, auskostend“) versteht man die Wertschätzung für die im Leben vorhandenen Momente der Freude. Es ist eine Lebenskunst, die unsere erlebten Glücksmomente beschreibt und unserem Leben, insbesondere unserem Alltag, individuellen Sinn und Bedeutung verleiht. Das Ziel des Auskostens ist es, uns zu ermuntern und zu befähigen, jeden Aspekt der sozialen, physischen, seelischen, emotionalen und sensorischen Erfahrung möglichst intensiv und lang anhaltend zu erleben. Einige Aspekte des Savoring habe ich in der Grafik festgehalten.

Grafik: Wolfgang Schiele

Für mich als Hobbyfotografen besteht das langanhaltende Auskosten von glücklichen Erlebensmomenten beispielsweise darin, meine schönsten und bewegendsten Bilder in ein selbstgestaltetes, qualitativ hochwertiges Fotobuch zu übertragen, und dann von Zeit zu Zeit die Augenblicke von Abenteuer, Anmut und Ausstrahlung wieder zu erleben und zu reflektieren.

Das Genießen als Lebensstil kann unsere Lernmotivation beflügeln, uns zu kreativen Problemlösern machen, unsere Neugier steigern und damit dazu beitragen, die Wechselfälle des Lebens besser zu bewältigen. Und wir sollten auch immer daran denken – insbesondere weil wir ja auch älter werden – die Zeit für´s Genießen ist begrenzt!


Das Dankbarkeitsbüchlein

Dankbarkeit ist ein nach außen gerichteter und im Außen spürbarer Vorgang. Man kann sie sprachlich ausdrücken, aber auch durch Gesten und Mimik weitergeben. Dank ist immer sehr konkret und gilt hauptsächlich einer Person. Dann ist sie zugleich Anerkennung und aktiver Zuspruch für das, was wir an ihr bewundern und wertschätzen oder was uns mit ihr verbindet. Dankbarkeit kann jedoch auch einem Umstand oder einer abstrakten Macht entgegengebracht werden. In der Regel löst Dankbarkeit, egal, ob dargebracht in materieller oder ideeller Form, beim Gegenüber regelmäßig positive Emotionen und freudige Gedanken aus.

Was hält uns eigentlich davon ab, anderen Menschen für das, was sie direkt aber auch indirekt für uns tun, zu danken? Kleine Aufmerksamkeiten, ein unverhoffter Besuch oder einfach eine außerplanmäßige Geste der Bewunderung sind Möglichkeiten, die dem Bedankten bestätigen, ich werde gebraucht, geachtet und vielleicht sogar geliebt.

Foto: Wolfgang Schiele

Schreiben Sie auf, wofür Sie Tag für Tag dankbar sind! Mindestens drei Dinge sollten es täglich sein. Dabei kommt es nicht auf auf die Größe, den Umfang des Dankes an, sondern auf die kleinen und scheinbar banalen Dinge des Lebens! Notieren Sie all diese Episoden in einem Lieblingsbuch mit gutem Papier und angenehmer Haptik! Schreiben Sie nicht nur auf, wofür Sie, sondern auch wem gegenüber Sie dankbar sind. Wer Ihnen gedankt hat und wem Sie gedankt haben … Nach einiger Zeit verfügen Sie über einen umfangreichen Fundus an Notizen, die in Ihnen positive Gefühle auslösen und Ihr Denken schnell verändern können!


Die „Positivitätsresonanz

Die Positivitätsresonanz, die ich als Begriff zuerst bei dem Emotionscoach und Mimikresonanzentwickler Dirk W. Eilert gefunden habe, beschreibt eine Art „Freundlichkeitsverstärker“. In den von ihm formulierten fünf emotionalen Grundbedürfnissen findet sich die reflektive Frage: „Wem habe ich heute eine Freude bereitet, wo in mit spüre ich das und wie wirkt das in mir nach?“ Freundlichkeit, selbstlose Hilfsbereitschaft und entgegengebrachte menschliche Wärme werden wie von einem Resonanzboden reflektiert und strahlen auf mich zurück.

Probieren Sie es einmal aus, in dem Sie einen völlig unbekannten Menschen auf der Straße freundlich grüßen. Oder ganz besonders nett zur Frau am Kuchenstand sind. Oder einfach nur einen Menschen anlächeln und zustimmend zunicken. Sie bekommen in der Mehrzahl aller Begegnungen eine spontane, spürbar positive Rückmeldung, die in Ihnen die angenehmen Gefühle weiter verstärkt und eine emotionale Bereicherung darstellt. Merke: Jede unterlassene Freundlichkeit oder Wertschätzung vergibt die Chance, gleich zwei Menschen glücklicher und dankbarer zu machen!

Grafik: Wolfgang Schiele

Nehmen Sie sich nur ein paar Minuten Zeit am Abend und stellen Sie sich die fünf Fragen, die ich auf der Grafik – in Anlehnung an D. Eilert – zusammengestellt habe:
„Was habe ich heute erreicht, worauf bin ich stolz?“
„Wo und wie habe ich mich heute entspannt?“
„Wofür bin ich dankbar und was macht mich glücklich?“
„Wo bin ich einem `Wunder` begegnet?“
„Wem habe ich eine Freude bereitet und was löst das in mir aus?“


Selbstakzeptanz und Achtsamkeit gegenüber dem Selbst und anderen

Es gibt Momente im Leben, wo wir mit unserem Schicksal hadern, all unsere Schwächen verdammen oder verpassten Möglichkeiten hinterhertrauern – und damit einfach keinen guten Kontakt mit uns selbst bekommen, sondern in Endlosschleifen Probleme wälzen. Unsere Selbstakzeptanz leidet. Unser oftmals katastrophierendes Gehirn bewertet alles und jeden (negativ), entfremdet uns von der Realität und entwertet uns damit selbst.

Hier kann es helfen, gedanklich zu verweilen und aufkommende Gefühle, Gedanken und Bilder einfach nur wahrzunehmen. Lassen Sie sie wie Wolken am Himmel auftauchen, vorbeiziehen und wieder verschwinden. Beobachten Sie sich selbst und ihre Umwelt ohne zu urteilen oder zu verurteilen. Entschleunigen Sie und vertiefen Sie sich ganz in den aktuellen Moment. (Wenn Ihnen das nicht auf Anhieb gelingt, dann suchen Sie sich einen ruhigen Ort, setzen sich entspannt hin, schließen die Augen und atmen eine Minute lang langsam tief ein und aus.) Zeigen Sie eine gelassene und gleichmütige Präsenz im Hier und Jetzt und finden Sie einen wohlwollenden, liebenswerten und nachsichtigen Zugang zu Ihrer eigenen inneren Welt.

Eine Möglichkeit achtsam mit sich selbst umzugehen, ist ein Spaziergang durch Ihren Körper – der sog. Body Scan. Ein Beispiel hier von Daniela Blickhan, Autorin des Grundlagenwerkes „Positive Psychologie – Ein Handbuch für die Praxis“.

In erster Instanz geht es immer um Sie: Nur, wenn Sie mit sich wieder im Reinen sind, sich entspannen und die positiven Aspekte der Welt erkennen, können Sie auch anderen Menschen wieder einfühlsam und empathisch gegenübertreten. Probieren Sie es einmal aus …


Eine optimistische „Backforward-Story“

Stellen Sie sich vor, Sie sind bereits etwas älter geworden und Sie schauen nun als gereifteres Alter Ego auf die verstrichene Zeit bis ins Hier und Heute zurück. Was alles wird in dieser Zwischenzeit in der Zukunft geschehen sein? Welche tollen Menschen werden Ihnen begegnet sein? Welche für Sie wichtigen Dinge haben Sie in Angriff genommen oder sogar erfolgreich abgeschlossen, welche Ereignisse und Geschichten haben Ihnen Kraft und Zuversicht auch fürs Alter gegeben? Versuchen Sie alle emotional signifikanten Ereignisse der bevorstehenden Zeit zu notieren (vielleicht bietet sich ja gleich Ihr „Dankbarkeitsbüchlein“ an, das Sie mit „Backforward-Notizen von der anderen Seite her beginnen könnten …).

Ja, wirklich jedermann – auch eine zukünftige!

Nun besteht das Leben nicht nur aus Sonnentagen. Womöglich haben Sie mit dem Blick aus der Zukunft zurück in die Gegenwart auch die Schattenseiten der eigenen Existenz erlebt. Dann überlegen Sie, ob diese Episoden für Sie eine lernende Funktion oder etwas, was Sie in Ihrem persönlichen Wachstum vorangebracht haben könnte. Oder vielleicht auch motiviert haben könnte, Ihr Leben noch einmal komplett zu umzukrempeln.


Den Charakter stärken – Die Charakterstärken

Über unsere Schwächen haben wir bestimmt schon oft nachgedacht – und hätten sie wahrscheinlich gern abgeschafft. Doch was haben wir mit unseren Stärken bisher gemacht? Haben wir sie richtig eingeschätzt und dann auch richtig eingesetzt in Alltag und Beruf? Woher wissen wir eigentlich genau, worin unsere Stärken bestehen? Abhilfe können Untersuchungen des „VIA Institut on character“ schaffen. Dieses Institut hat um das Jahr 2000 herum Konzepte und Methoden entwickelt, um einen „guten Charakter“ zu definieren. Die resultierenden 24 Charakterstärken sollen universell sein und für alle Kulturkreise der Welt gelten. Für die deutsche Version eines Fragebogens, der uns individuelle Orientierung gibt, gehen Sie am besten auf https://www.charakterstaerken.org der Uni Zürich.

Grafik: Wolfgang Schiele

Die Charakterstärken kann man in einem Diagramm darstellen. Sie positionieren sich zwischen den Polen des Geistes (Vernunft) und des Herzens (Gefühl) zum einen und zum anderen zwischen den Polen der intrapersonellen (selbstbezogenen) und interpersonellen (außengerichteten) Welt. Die fünf Charakterstärken, die die höchste Punktzahl erreichen, sind Ihre ganz individuellen „Signaturstärken“. Diese gilt es weiter auszubauen, weil es nach allgemeiner Überzegung einbfacher ist, als persöniche Schwächen abzubauen.

Grafik: Wolfgang Schiele

Die Charakterstärken wurden zu sog. Tugenden zusammengefasst. Tugenden werden von Moralphilosophen und religiösen Denkern als Kerneigenschaften menschlicher Existenz angesehen. Welche Tugenden Sie auszeichnen – Menschlichkeit, Weisheit und Wissen, Transzendenz, Mut, Gerechtigkeit und/oder Mäßigung – zeigt sich nach der Auswertung des Fragebogens …

PS: Ich teste mich alle drei, vier Jahre. Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass sich mindestens drei Charakterstärken über fast 10 Jahre immer wieder finden und dass es sich lohnt, weiter an deren Verbessering zu arbeiten.


Der Lebenssinn als Füllstandshöhe

Der Sinn spielt in der Positiven Psychologie eine bedeutende Rolle: Er ist z. B. essentieller Bestandteil im PERMA-Modell und ein Kernmerkmal in der „Flourishing-Metapher“ für das Aufblühen des Menschen. Hier stellen sich Fragen, wie: „Was ist Ihnen wirklich wichtig im Leben? Welche Werte möchten Sie noch leben? Was möchten Sie zurücklassen auf dieser Welt? Wie möchten Sie am Ende auf Ihr Leben zurückschauen – in Zufriedenheit oder mit Frust?“

Leider wird uns der Sinn mit unserer Geburt nicht mitgegeben. Wir müssen uns – wenn wir denn sinnvoll leben wollen – auf Sinnsuche begeben. Und das geht nur ganz individuell, weil das Leben dafür keine fertigen Rezepte zusammengestellt hat. Um für uns selbst den Sinn des Lebens zielgerichtet bestimmen zu können, sollten wir uns über unsere Ziele klar werden. Damit hängt die Frage zusammen, ob denn unsere Ziele mit unseren inneren und äußeren Werten zusammenpassen oder ob sie unseren tiefsten Überzeugungen widersprechen. Dann folgt die Frage nach den Fähigkeiten und Fertigkeiten für unsere Zielerreichung: Verfügen wir über all dier erforderlichen Kompetenzen selbst oder müssen wir sie hinzulernen? Wie müssen wir uns verhalten, handeln, um unsere Ziele zu realisieren? Über welche moralischen Eigenschaften müssen wir verfügen, um unsere selbst gestellten Aufträge umweltverträglich und im humanistischem Sinne zu erfüllen?

Über den Zusammenhang zwischen den Begriffen Ziele, Zweck und Sinn hat sich u. a. auch Jürgen Beetz Gedanken gemacht. Er sagt: „Sinn und Zweck, das wird oft zusammen gebraucht. Ziel ist fern, Zweck ist nah. Sinn ist tief, Zweck ist flach. Ziel ist erreichbar, Sinn nicht. Sex im Alter ist zwecklos, aber nicht sinnlos. Sinn ist ein Füllstand in einem Gefäß – ein ‚erfülltes Leben‘, sagt man.“
Diese Metapher gefällt mir sehr gut, weil wir mit diesem Bild im fortschreitenden Leben immer wieder überprüfen können, ob das Glas erst halb voll oder randvoll ist, ob noch etwas fehlt, was wir auffüllen könnten oder ob uns der Pegelstand egal ist. Überprüfen auch Sie die Füllhöhe Ihres Lebensbechers – und entscheiden Sie dann, ob und womit sie ihn noch weiter vollgießen möchten. In diesem Sinne und …


Von der Wirkung der Positiven Psychologie und von den Interventionen der Resilienz bin ich immer wieder positiv überrascht. Nicht umsonst habe ich in meinem Workshop „Positiv denken, psychisch gestärkt handeln – Resilienz trifft Positive Psychologie“ die beiden Schulen miteinander verschmolzen. Er kann auch als zweitägiges Online-Seminar angeboten werden, ist jedoch in einer Liveveranstaltung mit vielen Gruppenübungen weitaus emotionaler und eindrucksvoller. Ich bin gespannt, wie sich die Zukunft entwickelt …


Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße

Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für Senioren

© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de