Die „Heldenreise“ oder „Helden im Ruhestand“
Als ich 2013 begann, eine Workshopreihe für Menschen im Übergang vom Beruf in den Ruhestand zu konzipieren, gingen mir auch eine Unmenge von Begrifflichkeiten durch den Kopf, die genau diese Gruppe von Menschen 50/60plus beschreibt …
Ich fand z. B. die „Grey hoppers“, die „Silver Preneure“, die „Senior Citizens“ neben den „Coachpotatos“, den „Master consumers“ und der „Generation Seneca“. Als meine Sammelwut schon nachließ, stieß ich im Sommer 2014 in den sozialen Medien auf eine Gruppe junger Menschen, die sich mit großem sozialen Engagement und einer Idee um vordere Plätze im Wettbewerb „Gründergarage“ beworben hatte. Dabei ging um das Thema Ausscheiden aus dem Berufsleben und um die Begleitung von Menschen in den aktiven Ruhestand. Diese Gruppe aus zehn Menschen im Alter zwischen 25 und 30 Jahren hatte sich auf die Fahnen geschrieben, die verschiedenen Generationen in konkreten Projekten zu vereinen, Perspektiven für die optimale Nutzung des Erfahrungs- und Wissensschatzes der älteren Generationen zu schaffen und altersgerechte Angebote zu unterbreiten. Die Gruppe gewann im Oktober 2014 den Wettbewerb. Und nannte Ihr Projekt „HELDEN IM RUHESTAND“ – kurz: HiRus.
Ich fand das Akronym sehr gelungen, wohl vor allem deshalb, weil (wir als) Helden darin vorkamen. Und in der Tat ist es schon heldenhaft, was z. B. Ehrenamtler im fortgeschrittenen Alter noch leisten. Ich denke dabei nur an den Vorsitzenden unseres örtlichen Fördervereins, der mit gut 78 Jahren jährlich mehr als 30 Projekte initiiert und dirigiert und dabei einen Vollzeitjob mit einem geschätzten 12-Stundentag absolviert …
Einen Augenblick später erinnerte ich mich an ein psychotherapeutisches Behandlungsformat aus dem Therapie- und Coachingkontext: die „Heldenreise“ nach Paul Rebillot, der aus verschiedenen Bausteinen der Gestalttherapie von Fritz Perls, des Psychodramas von Jacob Levy Moreno und den mystischen Ansätzen eines Joseph Campbell einen speziellen Selbsterfahrungsprozess synthetisiert hatte!
Die „Heldenreise“ ist im Grunde der rote Faden, das zwingende storyboard für jede Erfolg versprechende Hollywood-Produktion. Man denke nur an die Star-Wars-Episoden oder an „Das Schweigen der Lämmer“. Der Held/die Heldin durchläuft eine Reihe von Erlebensstationen, die die ganze Vielfalt menschlicher Emotionen mit all ihren Stärken und Schwächen abdeckt.
Am Beginn der Reise steht die Tristesse – der ganz gemeine Alltag mit all seinen eingefahrenen Abläufen. Dann ereilt den Helden der Ruf des Abenteuers. Sein eigentlicher Auftrag, seine Mission. Manchmal folgt er dem Ruf erst nach ausdrücklicher Aufforderung, aber er folgt. Und nachdem der Held sich aufgerafft hat, trifft er auf erste Herausforderungen, sieht sich von Gefahren bedroht und durch Verlockungen angezogen in einer bisher unbekannten, verführerischen, unverständlichen und teilweise mystischen Welt. Bis ihn sein schlimmster Dämon zum Kampf herausfordert und der Held seine schwerste Bewährungsprobe bestehen muss. In dieser wird er hart geprüft und muss all sein Geschick und seine Erfahrungen in die Auseinandersetzung einbringen, bis er sie meistert und den Gegner schlussendlich überwindet. Nun kann er die Früchte seines Kampfes ernten, kann als Belohnung die neu errungenen Schätze in sein Leben integrieren. Und wird am Ende der Reise von allen gefeiert.
Soweit die light-Version der ursprünglichen Heldenreise.
Auch der Übergangsprozess vom Beruf in die Rente weist eine Vielzahl von Parallelen zur Heldenfahrt auf: aus dem beruflichen Kontext heraus steht – plötzlich und unerwartet! – der letzte Arbeitstag vor der Tür. Manch einer will es noch gar nicht wahrhaben und sträubt sich – oft aussichtslos – gegen das Schicksal, ein anderer hat sich schon immer dieses Sehnsuchtsziel erträumt und tritt ihm mutig und erwartungsvoll entgegen. Doch die meisten von uns haben ihn noch niemals wirklich in Gedanken vorgedacht und geplant, den Ruhestand, und sind überrascht und erstaunt darüber, dass die Abläufe, Strukturen und sozialen Netzwerke der Vergangenheit von einem Tag auf den anderen abgelöst werden durch Zeit und Freiheit ohne Ende. Eine neue Welt, in der neben der freudigen Erwartung auf Kommendes auch „Dämonen“ lauern, die da Langeweile, Sinnlosigkeit und Inhaltsleere heißen können. Und da heißt es kämpfen. Am besten besteht derjenige den Kampf, der sich bereits vor dem Moment des Berufsendes intensiv mit seinen eigenen Erwartungen auseinandergesetzt und möglichst konkrete Pläne für die dritte Lebenszeit geschmiedet hat. Dann ist das Schwert scharf genug für die Auseinandersetzung mit der späten Zukunft. Und stellt das Unterpfand für eine individuell gestaltete und selbstbestimmte dritte Lebensphase dar, die verdiente Belohnung in Form des Schatzes „Selbstverantwortung“. Und wird – wenn die Bedingungen stimmen – von seinem Partner, seinen Freunden und der Gesellschaft anerkannt und gewürdigt.
Um die Schleife zu schließen: Das HiRus-Projekt ist für mich eine gelungene Form des Respektes und der Anerkennung gegenüber den Erfahrungsschätzen des Alters. Wie auch z. B. die Online-Plattform „MASTERhora“ (www.masterhora.de) die gezielt erfahrene Fachleute und Führungskräfte Ü50 mit Unternehmen verbindet und deren Fachwissen und langjährige Erfahrung in einer Art Intelligenzpool sammeln, erhalten, vermehren und weitergeben möchte. Damit Generativität in unserer Gesellschaft wirklich gelebt werden kann.
Ich denke, es ist für die Anwärter im Übergang vom Berufs- ins (Un)Ruhestandsleben durchaus zutreffend, was der amerikanische Professor und Mystiker Joseph Campbell einst gesagt hat: „Ein Held ist ein Mensch, der … den gewöhnlichen Bereich der Erfahrung (Berufsleben) verlässt und … sein Leben einem höheren Ziel (Selbstverwirklichung im Ruhestand) unterstellt.“ Und weiter: „… Wir müssen nicht einmal die Reise alleine antreten, denn die Helden aller Zeiten sind den Weg bereits vor uns gegangen. Das Labyrinth ist wohl bekannt … Und wo wir dachten, wir müssten einander erschlagen, werden wir uns selbst schlagen. Und wo wir annahmen, nach Auswärts zu reisen, werden wir zum Kern unserer eigenen Existenz gelangen. Und wo wir glaubten, allein zu sein, werden wir mit der ganzen Welt zusammen kommen …“
Ihr (Vor)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2016 | Coaching50plus | www.coachingfiftyplus.de
21. Dezember 2016 at 0:12
Vielen Dank für den freundlichen Kommentar. Und beste Wünsche für die kommenden Tage – auch wenn sie getrübt sind durch die aktuellen Anschläge.
LikeLike
19. Dezember 2016 at 19:23
Den Übergang vom Berufsalltag zur Selbstverwirklichung im Ruhestand als Heldenreise zu sehen, halte ich für eine treffende Analogie. Diese spannende Transition ist voller Risiken, aber auch voller Chancen. Vielen Dank für den interessanten Artikel mit den Fotos, die die Phantasie anregen.
LikeLike