Wie würde es Ihnen ergehen, wenn Sie nach fast 25 Jahren wieder auf Ihre früheren (oder jetzt schon besser gesagt „alten“ …) Klassenkameraden träfen?
Worüber dächten Sie im Vorfeld des Klassenenvents nach?
Wie würden Sie sich auf das Treffen „vorbereiten“ ?
Oder geht man einfach so hin und lässt es laufen, auf sich zukommen …?
Who is who?
Aber so ganz ohne Rückbesinnung und die Erinnerung an Gesichter, Geschichten und Gedanken der Gymnasialzeit sollte es dann doch nicht gehen. Es fiel mir im Vorfeld schon schwer genug, ohne verlässliches Bildmaterial und Tonaufnahmen aus dieser Zeit die Namen meiner Mitschüler zusammenzubekommen. Ich glaube, dass mir erst nach drei Tagen Grübelei die Namen wieder einfielen. Und dann überlegte ich lange hin und her, ob sie denn komplett sei meine gedanklich erstellte Mitschülerliste (Wie ich später feststellte, hatte ich die tatsächliche frühere Klassengröße mit 31 Schülern völlig unterschätzt …) Auch war es nicht so ganz einfach, zu rekonstruieren, wer vor fünf Jahrzehnten auf welchem Platz in welcher Bankreihe gesessen hatte …
Warum man sich eigentlich trifft
Ach ja, ich vergaß den Anlass des Treffens: 50 Jahre seit dem Eintritt ins Gymnasium, das in der früheren DDR noch „Erweiterte Oberschule“ hieß.
In Worten: F ü n f z i g J a h r e !!!
Was für Zeiträume schon hinter uns liegen …
Doch Namen allein sind noch nicht alles …
Wie stark werden wir uns verändert haben in den vergangenen 25 Jahren?
Wie peinlich kann es sein, wenn der frühere Banknachbar mich erkennt und ich ihn nicht? Wie werden die Damen sich fühlen, wenn man sie womöglich mit einer anderen Klassenkameradin verwechselt?
Und wie war das mit den alten Cliquen und Beziehungen untereinander? Welche Rolle werden sie noch im späten Austausch spielen? Wird man heute eher „In-Group“ oder „Out-Group“ sein, in welcher Runde wird man gern gesehen und was ist immer noch tabu?
Und dann der entspannende Gedanke: Das wird auch anderen so gehen! Da bist du nicht der einzige! Die einen werden es sich nicht anmerken lassen, die anderen geschickt überspielen. Also im Zweifel Variante zwei!
Und plötzlich geht alles ganz einfach …
Der Einstieg gelang dann allerdings recht unkompliziert und fast fehlerfrei. Denn erstens trafen wir uns an einem fest vereinbarten Ort zu einer festgelegten Zeit. Um genau zu sein: an der Burg Falkenstein im Harz (übrigens eine sehr empfehlenswerte mittelalterliche Festung mit außergewöhnlicher Geschichte …). Und zweitens war der Kreis überschaubar, der sich vorab zu einem kleinen „Vorprogramm“ in der Natur bei außergewöhnlichem Kaiserwetter traf. Darunter fast alles diejenigen, deren Namensliste in meinem Kopf gespeichert war …
Leider war keiner unserer früheren Lehrer mit dabei. Offensichtlich hatten selbst die beiden Organisatoren des Treffens niemanden von ihnen unter den Lebenden ausmachen und/oder deren Adressen feststellen können …
Mein Klassenlehrer wurde schon vor fast 20 Jahren und damit viel zu früh begraben. Ich hatte sehr viel Respekt und Ehrfurcht vor ihm; gelang es ihm doch, mir und einigen anderen Mitschülern eine Fremdsprache beizubringen. Und nicht nur mir – und das ist das Besondere – er lehrte nach mir an einer Gehörlosenschule in Halle/Saale und brachte tauben Menschen Englisch bei. Chapeau!!!
Aber auch unter uns gab es schon die ersten Einschläge: drei Verstorbene. Davon einer meiner ersten Banknachbarn mit Anfang 40, ein nächster Verlust vor exakt zwei Jahren und ein weiterer vor etwa zwei Monaten, für den wir postum noch eine Karte schrieben an diesem Abend – sowie ein „Verschollener“.
Der letzte Zeuge
Einer aus unserer Mitte ist in Sachen Seelsorge unterwegs. Als Küster bei einem katholischen Pfarrer. Das ist wahre Ökumene, dachte ich! Eine körperlich beeindruckende Persönlichkeit, dessen Umfang und Masse unter den Anwesenden herausstach. Sein Vorname war mir noch geläufig, beim Familiennamen half mir eine Klassenkameradin aus. Zu Beginn unseres festlichen Abendessens machte er zum Thema „frühere Lehrer“ eine merkwürdige Anmerkung, die ich mir später genauer erklären ließ: „Viele von Ihnen sind noch einmal bei mir vorbeigekommen …“
… ??? …
Wie ich erfuhr, hatte er einen großen Teil seines Berufslebens vor dem Ruhestand als Leiter eines regionalen Krematoriums verbracht. Mindestens bis zur Einäscherung hält die deutsche Gründlichkeit ja an und somit standen dem Leiter der Anstalt stets die Namenslisten für den letzten Weg in die Ewigkeit zur Verfügung. Und er wusste dadurch, wer jeweils im Sarg eingeliefert wurde. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn die eigenen Lehrer im Holzkasten Richtung Endstation an einem vorbeifahren? Man wird zwangsläufig zum letzten Zeugen der eigenen Ausbilder. Ein exklusiver und sicherlich bewegender, wenn auch sehr trauriger Abschied: Wenn die eigenen Lehrer zum letzten Mal aufgerufen werden und der ehemalige Schüler den Körpern das letzte Geleit gibt …
Therapien gegen das Vergessen
Klassentreffen erhalten die Erinnerungen und stärken das Gedächtnis.
Klassentreffen dienen dem Austausch über längst vergessene Streiche der Jugendzeit. Klassentreffen taugen hervorragend als Therapien gegen das Vergessen.
Mittlerweile habe ich auch die komplette Namensliste im Kopf abgespeichert. Und da soll sie auch bleiben für spätere Downloads. Mindestens zwei Jahre lang – da haben wir uns erneut einen Termin gesetzt. Ab jetzt haben wir kürzere Abstände vereinbart – sicher ist sicher! So halten sich die Verluste in Grenzen und beim nächsten Treffen geht es uns hoffentlich noch nicht so wie Olli mit seiner Geschichte vom Klassentreffen im Ratskeller …
Ich wünsche allen Lesern, Followern und Bloggern noch viele Klassentreffen mit vielen aktiven früheren Schulkameraden!
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2018 | Coaching50plus |www.coachingfiftyplus.de
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