Schon seit alters her haben die Menschen versucht, Konzepte über die jeweils aktuelle Welt aufzustellen und sich auf deren weitere Entwicklung einzustellen. Dazu haben sie die wesentlichen Strömungen und Umstände der jeweiligen Zeit analysiert und an den möglichen Auswirkungen gespiegelt. Und – wenn möglich – versuchten sie zugleich auch Strategien für den Umgang mit den aktuellen gesellschaftlichen Konstellationen zu entwickeln. Ein bekanntes Beschreibungs- und Erklärungsmodell ist VUCA, das als Akronym aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe volatility (Flüchtigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit) die wesentlichen Merkmale unserer Welt in der Zeit nach 1990 zu charakterisieren versuchte. Der Ursprung wird dem „United States Army War College“ zugeschrieben, das damit in den 90er Jahren die Prägemuster der Welt nach dem Ende des kalten Krieges beschreiben wollte. In Wahrheit taucht die Terminologie bereits 1986 in dem Managementberaterwerk „The Strategies for Taking Charge“ („Die Strategien zur Übernahme von Verantwortung“) eines gewissen Warren Bennis auf. [Wer mehr über VUCA erfahren möchte, siehe u. a. meinen Beitrag unter https://wp.me/p7Pnay-1DW – „Sind wir nicht alle ein bisschen vuka?“]
Nach einigen Wochen der Vertiefung in wiederaufgefundene Tagebücher aus meiner Jugendzeit erwische ich mich dabei, wie ich meine Lebensphasen neu bewerte. Bemerkenswert erscheint mir, dass die Zeit der Berufsausübung für mich eine weniger wichtige und erinnerungswürdige Zeit ist als die 20 Jahre davor und die 10 Jahre danach. Die Zeit dazwischen scheint wie ausgeblendet, leerer und bedeutungsloser. Es ist, als stünde man auf einem hohen, breiten und erhabenen Erinnerungshügel und schaute in die Ferne – hinweg über die sanften Hänge und ausgebreiteten Ebenen des vormals Professionellen in Richtung Lebensstart – dorthin, wo sich Himmel und Erde treffen, als hätten sie sich etwas Wichtiges zu erzählen. Und das, was sich zwischen dem eigenen Aussichtspunkt und dem wie mit einem Lineal gezogenen Horizont am Bildrand befindet, hat kaum noch Bedeutung, findet keine wirkliche Beachtung …
Es gibt nur zwei wirklich wichtige Termine im Leben, die wir nicht verpassen sollten. Einer davon ist uns bekannt – und wir waren pünktlich zur Stelle – es ist der Tag unserer Geburt. Den anderen können wir eigentlich gar nicht verpassen, doch wir kennen ihn nicht: Es ist der Tag des Abschieds.
Irvin Yalom, der vielleicht dienstälteste Psychotherapeut der Welt, hat sich intensiv damit befasst, was zwischen den beiden Terminen lebensprägend ist. Es sind für ihn die sogenannten „letzten Dinge“, die maßgeblich unsere physische und psychische Gesundheit beinflussen, existenzielle Krisen auslösen können und unsere seelische Verfassung ausmachen. Die Spannungsfelder, in denen sich sein Lebenswerk „Existenzielle Psychotherapie“ bewegt, schwingen zwischen den Polen von „Freiheit und Verantwortung“, „Isolation und Verbundenheit“, „Leben und Tod“ sowie „Sinnlosigkeit und Sinnsuche“ hin und her. Dieser Beitrag befasst sich mit den letzten beiden Termini.
Yalom geht davon aus, dass uns das Leben keinen Sinn mitgegeben hat. Unser Daseinszweck und unsere Bestimmung auf Erden bleiben erst einmal unergründlich. Außerhalb unseres eigenen Selbst wissen wir nicht einmal, ob eine objektive Welt um uns herum wirklich existiert oder ob wir sie uns nur konstruieren. Wenn wir uns nicht sicher sind, können wir uns die Frage stellen: „Sollten plötzlich alle Menschen sterben – gäbe es dann diese Welt noch?“ (hier bitte einen Moment innehalten und abwägen …) Uns gegenüber verhält sich die Welt völlig sinnfrei und gleichgültig. Außerhalb unseres Selbst ergibt die Welt nicht wirklich Sinn. Wenn uns aber die Welt keinen Sinn mitgegeben hat, dann kann er immer nur aus unserem eigenen Inneren heraus geschaffen, kreiert werden. Und dazu bedarf es des Mutes, ernsthafte Fragen an das eigene Leben und sein Umfeld zu stellen. Diese Fragen beginnen regelmäßig mit: „Warum sind wir da und wofür leben wir?“
Die bekanntesten Vertreter, die sich als Existenzialisten einen Namen gemacht haben, sind Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Letzterer erkennt weder im Leben an sich einen Sinn, noch im Tod. Wobei der Tod der krönende Abschluss eines absurden, widersinnigen Lebens ist. Der Mensch hat nach Camus nur die Wahl, die Absurdität seines Seins anzuerkennen und anzunehmen, wenn er sich nicht durch Suizid aus dieser Absurdiät hinwegschleichen will. Damit bleibt der Mensch zwar Selbstgestalter seiner Welt, aber ohne in seinem Handeln einen Sinn zu sehen.
Viktor E. Frankl als Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse meint hingegen, dass der Mensch den Sinn im Leben braucht, um glücklich zu werden. Da es bekanntermaßen keine Universalrezepte für die Sinnfindung gibt, unterstützt er uns mit drei Wegweisern, seinen drei Hauptstraßen zum Sinn. Die erste Magistrale führt uns zu den Erlebniswerten, zu allem, was wir gemeinhin als das Gute, das Schöne und das Wahre bezeichnen. Die zweite ist eine Trasse entlang der schöpferischen Werte: den Dingen, Taten und Werken, die wir für uns, für andere und die Gesellschaft erschaffen haben. Und die dritte Schnellstraße führt zu unseren Haltungswerten, die uns z. B. persönliches Glück spüren lassen oder das Leiden in der Welt erträglich machen.
John Strelecky, der Autor des Weltbestsellers „Das Café am Rande der Welt“, lässt seinen Helden in einem Lokal stranden, in dem ihm drei Fragen gestellt werden, die er sich bisher noch nie gestellt hatte und die ihm bis dahin auch noch nie gestellt wurden. Entsprechend lange dauert seine Auseinandersetzung mit der Speisekarte, in der diese Fragen stehen. Die erste befasst sich mit seinen Werten: „Führst du ein erfülltes Leben?“ Die zweite fragt nach seiner Identität als Mensch: „Hast du Angst vor dem Tod?“ Und die letzte und wohl wichtigste fordert eine Antwort auf die Sinnfrage ein: „Warum bist du hier?“ – Die Antworten findet man meiner Meinung nach nur auf einer Reise zu sich selbst …
Nur wenn für mich selbst im Rückblick auf mein Leben eine individuelle Bedeutsamkeit auftaucht, wenn ich erkenne, mein früheres Handeln hatte (m)ein erstrebenswertes Ziel verfolgt und ich habe es versucht zu erreichen oder gar vollendet, dann entsteht Sinnesstolz. Der Stolz darüber, etwas geschaffen zu haben, was nicht nur schnödes Ergebnis meines Denkens und Tuns ist, sondern für mich und für andere eine Bedeutung darüber hinaus hat, verleiht meiner Handlung einen Sinn. Und genauso sieht es aus, wenn mein Blick in die Zukunft gerichtet ist: Ein Plan, ein Vorhaben, das meinen Wertevorstellungen entspricht und von dem ich überzeugt bin, macht ferneren Sinn aus. Und motiviert mich vom Start bis zur Vollendung.
Es bedarf wohl einer individuellen, idealisierten Werte- und Zielvorstellung, die man verwirklichen muss, um Sinnhaftigkeit zu spüren. Ohne eigene Vorgaben und Ideale durchs Leben zu gehen, geschweige denn daran zu denken, ins zielorientierte Handeln zu kommen, ergibt keinen wirklichen Sinn. Dagegen kann es schon ausreichen, wenn wir alltäglichen Verrichtungen einen höheren Zweck zuschreiben, als die gemeine Vernunft ihn einzuordnen vermag. Eine übergeordnete Bedeutung auf einer höheren Abstraktionsebene zu erkennen führt uns nämlich zu einem qualitativ neuen Verständnis des kleinen wie auch eines großen Weltzusammenhanges.
Auch wenn der Psychotherapeut Yalom die wesentlichen Ursachen für psychische Störungen aus seinen „letzten Dingen“ ableitete und bedeutende therapeutische Erfolge feiern konnte, so findet auch er nicht d i e Sinngeber an sich. Auch er ist sich der Schwierigkeit bewusst, sich selbst immer wieder ganz individuelle Sinnfragen stellen zu müssen – und vielleicht am Ende sogar eine absurde:
„Erfinde einen Sinn, der stabil genug ist, um als Fundament des Lebens zu dienen und vollziehe dann das knifflige Manöver, die eigene Urheberschaft an diesem Sinn zu leugnen.“
Das VIA-Institut on character (VIA = „Values in action“ oder: Werte in Aktion) entwickelte im Jahr 2000 Konzepte und Methoden, um einen „guten Charakter“ zu definieren und dessen Eigenschaften näher zu beschreiben. Daraus entstand in letzter Konsequenz das sog. „Modell der Charakterstärken“, ein wichtiger Strukturbaustein der Positiven Psychologie.
… hat erst einmal nichts zu tun mit dem Buch von John Strelecky „Das Café am Rande der Welt“. Oder doch ein wenig? Ja, vielleicht gibt es gewisse Parallelen, wenn man davon ausgeht, dass ich es nur deshalb gesehen und benutzt habe, weil ich mir einen Lebenstraum erfüllt hatte. Vielleicht sogar als Suchender nach Antworten auf die Streleckyschen Fragen „Warum bist du hier?“ und „Führst du ein erfülltes Leben?“
Vor einigen Tagen fiel mir ein Exemplar der „Psychologie heute“ zwischen die Finger. Es war nicht mehr ganz taufrisch und ich merkte an den jungfräulichen Seiten, dass ich diese Zeitschrift noch gar nicht gelesen hatte (denn ich streiche immer etwas an in Büchern und Zeitschriften!). STILLE stand auf dem Titel – und ich verband den Begriff sofort mit RUHE, obwohl beides nicht identisch ist …
Sie scheinen wieder große Konjunktur zu haben – die Artikel, Berichte und (Zwischen-)Ergebnisse über die schier unendliche Verlängerbarkeit menschlicher Existenz. Gerade hat 3Sat der Wissenschaftssendung Scobel einen 45-minütigen Filmbeitrag über das breite Forschungsspektrum fürs „ewige Leben“ vorangestellt. Kurz darauf veröffentlichte „Die Zeit“ einen Aufsatz über die millionenschwere Unterstützung reicher Privatiers für kalifornische Start-Ups zur Forschung über „lebensverlängernde Maßnahmen“ …
Im Jahre 2009 hat der Verlag Reader´s Digest eine Untersuchung initiiert, die die Lebenserwartungswünsche der Deutschen erfassen sollte. Die Teilnehmer hatten die Wahl, sich zwischen folgenden Alternativen zu entscheiden: Würden Sie gern 70 Jahre, 90 Jahre, 110 Jahre, 150 Jahre oder 300 Jahre alt werden oder ewig leben?
Als ich im Februar diesen Jahres meine Vorsorgeunterlagen zusammengestellt habe, stand für mich auch die Frage nach der Art meiner Bestattung an. Ohne lange nachzudenken, kreuzte ich „Friedwald“ an, weil ich viele Jahre recht naturverbunden gelebt habe. Aber konkrete Vorstellungen hatte ich damals noch nicht …
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