Im Übergang vom Beruf in den Ruhestand tritt eine Vielzahl von Veränderungen ein. Zu den wichtigen Changeprozessen gehören zweifelsohne die Neugewichtung des Lebensmittelpunktes, die strukturelle Umgestaltung von Alltagsabläufen, die Transformation der sozialen Rollen und die Neuorientierung auf veränderte Ziele …

All diese Veränderungsprozesse hängen ursächlich von einigen Modaloperatoren ab. Modaloperatoren sind Hilfsverben, die darüber Aufschluss geben, ob wir eine Erlaubnis erhalten („dürfen“), einen Freiraum besetzen („können“), eine Pflicht erfüllen („müssen“) oder einer Aufforderung nachkommen („sollen“). Können und Dürfen sind an Möglichkeiten und Optionen gebunden. Müssen und Sollen orientieren sich an Notwendigkeiten und Zwängen. Mit Modaloperatoren werden die Rahmenbedingungen für Handlungsfreiheiten oder Entscheidungsbeschränkungen beschrieben.

Was bisher geschah …

Während unserer Berufszeit dominierten die Modaloperatoren der Notwendigkeit. Wir mussten Verantwortung übernehmen: Für unser Verhalten, unsere Arbeitsergebnisse, unsere Effektivität. Wir sollten Probleme und Aufgaben lösen – dazu waren wir angestellt. Wir waren die Erfüllungsgehilfen einer betrieblichen Organisation, einer Hierarchie untergeordnet, in der wir funktionieren mussten. Teilweise wollten wir auch: Unsere Karriere vorantreiben, um die besten Gehälter kämpfen oder das Unternehmen im Wettbewerb voranbringen. Im Vordergrund standen immer die auszuführenden Pflichten und die betrieblichen Anforderungen an uns. Die Freiräume waren eng umrissen und die Wertewelt klar beschrieben. Unsere Aktivitäten waren Ich-fern nach außen gerichtet und das Verhalten wurde vom Verstand geprägt.

Der Modus ändert sich …

Mit dem Eintritt in den Ruhestand verändert sich der Modus: Ohne unser Zutun verlassen wir das Umfeld der Notwendigkeiten und betreten eine wahloffene Welt der Möglichkeiten. Auf diesen Wechsel sind viele Menschen nicht vorbereitet und haben noch keine Vorstellungen, wie sie mit den Geschenken von Freizeit und Berufsfreiheit umgehen sollen. Am besten schon vor dem eigentlichen Übergang macht es Sinn, sich zu überlegen, was man denn in der dritten Lebensphase wirklich will! Welche Erwartungen stellen wir an die Zeit der „Späten Freiheit“, welche Ziele sind uns noch wichtig, worin besteht für uns der Sinn des Hierseins …

Eine neue Welt offenbart sich …

Mit dem Start in den Ruhestand ist die Zeit des Könnens und Dürfens angebrochen! Wir dürfen eigene, frei bestimmbare Visionen und Ziele entwickeln und dürfen sie auch verwirklichen, ohne auf äußere Verbote, Zwänge und Restriktionen achten zu müssen. Uns obliegt die Freiheit, persönliche Interessen zu verfolgen und wir können sie ohne Genehmigung oder Vorgaben von oben auch umsetzen. Ja, wie sind zum ersten Mal in unserem Leben in der Situation und Position, unser Handeln und unsere Zukunft eigenverantwortlich, selbstbestimmt und frei zu gestalten! Dabei darf das Gefühl ruhig die Führung übernehmen – nicht alle unsere Aktivitäten müssen von nun an vom Zensor Vernunft geprüft und freigegeben werden. Was für eine Wahlfreiheit!

Die Eigenverantwortung nimmt zu

Neben all diesen doch eher erfreulichen, befreienden Dingen entsteht jedoch auch eine große Herausforderung: Wir sind gezwungen, über uns selbst zu bestimmen. Entfallende berufliche Fremdbestimmung kann für all diejenigen sehr unangenehm und verwirrend sein, die bisher wenig Eigenverantwortung übernehmen mussten. Mit dem abrupten Umlegen des Schalters von Beruf auf Ruhestand wird uns nicht nur Freiheit gegeben, sondern auch Verantwortung übertragen: Nämlich die, selbst Unternehmer unseres Lebens zu sein.

Diese Erkenntnisse waren für mich Anlass und Hintergrund, mit dem Ausscheiden aus dem primären Berufsleben darüber nachzudenken, wie man Menschen darin unterstützen kann, diesen ungeheuer vielfältigen und anspruchsvollen Wandlungsprozess zu erkennen und mit eigenen Impulsen zu versehen. Die seit fünf Jahren erfolgreichen Workshops und mein nachgefragtes Buch „Rastlos im Beruf, ratlos im Ruhestand?“ zeigen, dass der eingeschlagene Weg richtig und nachhaltig ist.

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele

Copyright Wolfgang Schiele 2019 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de