
Neue Herausforderungen mit 60
Es sind mittlerweile fast fünf Jahre ins Land gegangen, seit ich mich ernsthaft dazu durchringen konnte, mich auf meine Heilpraktikerprüfung („eingeschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie“ – wie die korrekte beamtendeutsch-brandenburgische Bezeichnung heißt …) vorzubereiten. Auf Anraten meines Weiterbildungsinstitutes, das mich schon erfolgreich zum Coach ausgebildet hatte. Und aus eigenem Antrieb, um mein eigenes Verhalten und das meiner Coachees noch besser zu verstehen. Sowie aus juristischen Gründen: Um eine klare Grenze erkennen zu können zwischen dem Coachen zur Entwicklung persönlicher Kompetenzen meiner Klienten und der Heilung von psychischen Störungen mit Krankheitswert.
Lernen ging schon mal anders ..
Anfang 2014 – ich stand kurz vor meinem 60. Geburtstag – startete der Vorbereitungskurs bei meinem sehr geschätzten Mentor und Lehrer Christoph Mahr im gleichnamigen Institut in Berlin. Ich quälte mich durch geschätzt 25 Tage Vorlesung (im wahrsten Sinne des Wortes – als ehemaliger Ingenieur war ich Bilder, Skizzen, Grafiken gewöhnt, hier erzählte der Mentor vier Stunden am Stück! Grausam für einen vorangig visuell verarbeitenden Menschen wie mich.). Ich benötigte das Doppelte an Lernzeit. Ich visualisierte das Gehörte auf Flipcharts um, zeichnete Skizzen, Tabellen, Bilder zum Stoff. Hängte mindestens 40 der Blätter an der Dachschräge meines Home Offices auf und paukte griechische und lateinische Begriffe, von denen ich bis dahin kaum etwas gehört hatte … Wie es der Zufall so wollte, befand ich mich parallel zur Prüfungsvorbereitung gerade in einer Ausbildung zum EMDR-Coach bei Andreas Zimmermann im selben Institut. Diese Fortbildung – als Coach unter Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzten – war eine passgenaue Ergänzung zum spannenden, aber trockenen Heilpraktikerstoff: Die Praxis sprang der Theorie zur Seite und machte für mich Zusammenhänge leichter greifbar und verständlich.

Ankersteine als Unterstützer
Der Tag der Prüfung nahte. Nachdem ich mindestens fünf Lernschleifen gedreht hatte, begab ich mich zur schriftlichen Prüfung nach Potsdam (zwei Mal im Jahr finden deutschlandweit die Prüfungen zum selben Zeitpunkt statt). Die Anspannung war groß, obwohl ich die Prüfungssimulationen der vergangenen 15 Jahre rauf und runter durchlaufen hatte. Aber das Beinahe-Fiasko lag ganz woanders auf der Lauer … Zum Verständnis: In meinen Seminaren erläutere ich gern das „SMART-Modell“ zur Erreichung individueller Ziele. Jeweils zum Abschluss der Übung erhält jeder Seminarteilnehmer einen Schmeichelstein zum „Ankern“ seines persönlichen Vorhabens, als ständige Erinnerung an den guten Vorsatz oder einfach nur als Talisman. Auch ich besitze einen ganz speziellen Glücksbringer und „Reminder“: einen fast weißen Mookait mit braun-gelblicher Zeichnung, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Spiralnebel hat. Und die „ganze Galaxis in einem Stein“ musste selbstverständlich mit.

„Gravitationswellen“
Die Prüfung fand im Plenarsaal der Potsdamer Stadtverordneten statt. Weit über 100 Prüflinge verteilten sich auf den leicht ansteigend angeordneten Sitzreihen. Das Examen wurde durch zwei äußerst aufmerksame Damen und den Amtsarzt persönlich überwacht. Für jeden noch so kleinen Betrugsversuch war die Höchststrafe Prüfungsausschluss angedroht. Die Fragebögen wurden ausgeteilt. Den Mookaiten hatte ich vorher bereits auf dem Schreibpult abgelegt. Im ersten Moment bleibt einem das Herz stehen, wenn man die Fragen überfliegt: Wo sehe ich Land, was kommt mir unlösbar vor? Und dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: In der angespannten Situation stieß ich unbeabsichtigt den Stein an. Der folgte der Schwerkraft und polterte mit Getöse auf den darunter liegenden Holzfussboden. Und als ob das allein nicht schon gereicht hätte, nahm er die abschüssige Bahn und rollte, naiv wie ein Stein eben so ist, ratternd weiter hinab in Richtung der gestrengen Kontrolleure … Es war nicht nur peinlich, sondern auch erniedrigend fragen zu müssen, ob ich mir den Stein wieder holen dürfe … Stirnrunzelnd, mit gestrengem und vernichtendem Blick wurde mir die Bitte gewährt. Es herrschte fast Ausnahmezustand – denn die ablenkende Situation könnte ja der ein oder die andere zur Manipulation nutzen … Unter leichtem Schock erreichte ich mit dem Mookaiten wieder meinen Platz.

Die Entwarnung
Nach 90 Minuten gab ich die Antworten ab. Mit gemischten Gefühlen. Und unter einem nachklappenden, zerstörerischen Blick einer der beiden Aufsichtsdamen. 75% richtige Antworten würden reichen, also 21 Treffer von 28 möglichen. Aber hatte ich die? Die anschließende Manöverauswertung im Kreise einiger Mitbetroffener verhieß Entwarnung! … Einen Tag später rief mich mein Institut an und gab die korrekte Antworten bekannt: 26 Richtige. Der Stein hatte trotz seiner Eskapaden geholfen! Oder gerade deshalb …?
Neben der schriftlichen gibt´s noch eine mündliche Prüfung. Hui! Und die hatte es in sich; nicht nur wegen der Fragen, sondern wegen einer unerwarteten Verfahrensfrage. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte für Teil 2 …
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele
Copyright Wolfgang Schiele 2019 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de
Kommentar verfassen