
In meinen dreitägigen Workshops zum Übergang vom Beruf in den Ruhestand biete ich neben feststehenden Inhalten auch regelmäßig zwei Themen zur freien Auswahl an: „Altersgerechtes Lernen“ und „Existenzielle Grundsatzfragen“. Nach nunmehr weit über 20 Veranstaltungen hat sich statistisch gesehen ein klarer Favorit herauskristallisiert: die existenziellen Fragen nach Irvin Yalom, u. a. zum Tod. Warum ist das so?
Viele der Teilnehmer sagen mir auf Anfrage, dass das Thema Tod zu den großen Tabus in der Familie und im Freundeskreis zählt. In unserer „Spaßgesellschaft“ sei das Befassen mit dem Tod nicht opportun. Und das ist durchaus verständlich, nähren doch die immer intensiver werdenden, lebensverlängernden Bestrebungen der Wissenschaft den Nimbus einer späten Sterblichkeit und schieben den Zeitpunkt des menschlichen Todes immer weiter hinaus.
Vermehrt tauchen derzeit Berichte und Artikel z. B. über die Forschungen im Silicon Valley auf, die vornehmlich von Startups verbreitet werden. Das Spektrum der Erfolg verheißenden Methoden zur (fast) grenzenlosen Lebensverlängerung reicht von früher Stammzellenentnahme und späterer Wiederaktivierung derselben, über die Anregung der Thymusdrüse zur Produktion von bereits versiegten Wachstumshormonen bis hin zu Techniken für die umfassende Stimulierung des menschlichen Immunsystems, dem einige Wissenschaftler die entscheidende Rolle für ein Leben jenseits der bisher biologisch erreichbaren 120 Jahre zuschreiben (übrigens verstarb der wohl älteste Mann der Welt vor Kurzem in Havelberg/Deutschland mit 114 Jahren …).
Vor dem Hintergrund des prophezeiten Klimakollapses werden offenbar auch Forschungen zur Algorithmisierung und Digitalisierung unserer Gehirnfunktionen vorangetrieben. Die Dehumanisierung schreitet langsam, aber unaufhaltsam voran und ein möglicher Ausweg aus dem menschengemachten Elend der zukünftigen Welt sehen Forscher in der Flucht in eine Datenwolke oder in der Transformation von Menschen in klimaunabhängige Maschinen. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass der Mensch Schritt für Schritt auf einen Informationsspeicher reduziert wird, um auf diese Weise glückselige Unsterblichkeit erlangen zu können. Nein, dankeschön!

Da halte ich es schon eher mit den Ideen der Existenzanalytiker und Logotherapeuten: Die Idee der Endlichkeit erst lässt das Leben wertvoll werden, da es mit dem Tod begrenzt ist. Unendlich langes Leben wäre sinnlos. Kaum ein Ziel würde erreicht, die Tristesse wäre unendlich, die Quoten freiwilligen Abschieds kaum zu beziffern. Denken Sie nur einmal an die Zeitschleifen, die der von Bill Murray verkörperte Wetterfrosch im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ durchläuft!
Soweit das o. a. allgegenwärtig mitschwingende und wissenschaftlich daherkommende Begleitspektakel zum Thema Tod. Ich halte mich aktuell an die für die übergroße Mehrheit der Menschheit wahrscheinlichste Perspektive: Der natürliche Tod wird unausweichlich kommen und unser Dasein beenden. Wir sterben. Wir verlieren neben unserer physischen Existenz alle Erfahrungen und alles Wissen, das wir uns je angeeignet haben. Und machen Platz für einen neuen Zyklus lebendiger Entfaltung.

In meinem Buch „Rastlos im Beruf, ratlos im Ruhestand“ weise ich u. a darauf hin, dass wir auch einen „glücklichen Abschied“ nehmen können. Nämlich genau dann, wenn wir unser Leben erfüllt, sinnorientiert und engagiert gelebt haben. Wenn wir selbstreflektierend mit uns ins Reine gekommen sind und ein positives Daseinsfazit ziehen können. Wenn wir im Rückblick auf unsere timeline keine selbstzerstörerische und schmerzliche Reue empfinden. Sondern Stolz und Genugtuung über das Gelungene, das Erreichte. Und uns in der Vorschau auf eine Zukunft nicht die ängstliche Sorge um das Schicksal der Verbleibenden umtreibt. Wenn es uns gelingt, der Nachwelt getrost das Schicksal der Welt zu überlassen und wir uns nicht als unentbehrlich betrachten. Warten wir nicht auf den unmittelbaren Moment des Abschiednehmens, vielleicht fehlt uns dann die angemessene Zeit für eine (selbst-)wertschätzende Lebensreflektion. Sondern ziehen wir schon jetzt ein vorläufiges Zwischenfazit, frei von Zeit- und Gewissensnot. Das erleichtert uns den Abschied, der manchmal auch unerwartet auf den Plan tritt …
Genau das mag unbewusst auch in den Köpfen meiner Teilnehmer vorgehen: In einem geschützten Raum über das Thema Erleben und Ableben zu reden, weil es im Alltag wieder und wieder verdrängt und verschoben wird.
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für angehende Senioren
Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2019 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
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