Foto: Wolfgang Schiele

Seit einigen Wochen stehe ich wieder vor Seminaristen und vermittle ihnen Basiskenntnisse zur angewandten Psychologie. Ich nenne es „Psychologisches Minimum“. Unsere Schulbildung hat es nämlich sträflich versäumt, uns Grundlagenwissen über unsere Psyche mitzugeben. Also leiste ich im Rahmen der Erwachsenenbildung Nachhilfearbeit, um Menschen im reifen Erwachsenenalter das eine oder andere Werkzeug an die Hand zu geben, um besser mit Problemen, Stress und Krisen umgehen zu können …

In der Sendung „scobel“, die regelmäßig von 3sat ausgestrahlt wird, stand das Thema Atmen kürzlich auf dem Programm (zu finden in der dortigen Mediathek, Stichwort: magie-des-atmens). Dort fand ich bestätigt, was ich stressbelasteten Menschen als DIY-Methode für das präventive und akute Selbstmanagement jede Woche als Wissenshäppchen mitgebe. Denn mit dem richtigen Atmen können sich aufgeregte, gestresste und belastete Menschen schnell in einen entspannteren und damit handlungsfähigen Zustand versetzen. Vorausgesetzt, sie üben schon mal in „seelischen Friedenszeiten“ …

Foto: Wolfgang Schiele

Die allermeisten Menschen haben sich noch nie im Leben Gedanken darüber gemacht, wie oft sie in der Minute, einer Stunde, an einem Tag oder in ihrem gesamten Leben atmen. Dabei ist Atmen existenziell: Nur ein Atemzug macht den Unterschied zwischen Leben und Tod – sagt eine Binsenweisheit. Die normale Atemfrequenz kann individuell sehr schwanken; zwischen 10 und 20 Atemzügen pro Minute ist sicher nicht zu weit gegriffen. Es fällt auf, dass die meisten Menschen kürzer einatmen als ausatmen. Auch ist unsere Atmung regelmäßig sehr flach und kommt eher aus dem Schulterbereich heraus. Unter Stress wird unsere Atmung noch hektischer und unkontrollierter. Also sollte man Atmen üben.

Die „Eine Minuten-Meditation“
Ich beginne meist mit der sog. „Eine-Minuten-Meditation“. Man nehme eine entspannte Sitzhaltung, schließe die Augen und konzentriere sich eine Minute lang ausschließlich auf seinen Atem. Das Einatmen erfolgt durch die Nase, das Ausatmen durch den Mund (das darf durchaus geräuschvoll erfolgen!). Mit jedem Atemzug nehme man gedanklich die frischen, guten und willkommenen Dinge des Tages auf, mit dem jeweiligen Ausatmen entlasse man die verbrauchten, störenden und unangenehmen Dinge des Lebens aus dem Körper. Zählen Sie in Gedanken ihre Atemzüge und achten Sie darauf, dass der Vorgang des Ausatmens etwa doppelt so lange dauert, wie das Einatmen. Versuchen Sie mit weiteren Versuchen Atemfrequenz zu verringern; vielleicht gelingt es Ihnen, sie zu halbieren, z. B. von 12 auf 6 pro Minute.

Die „4711-Methode
Bei der sog. „4711-Methode“ wird 4 Sekunden lang ein- und 7 Sekunden lang ausgeatmet und das Ganze über 11 Minuten. Diese Übung kann man im Sitzen durchführen, aber auch gern und optimaler bei einem Spaziergang in der Natur: vier Schritte lang einatmen und sieben Schritte lang ausatmen – und ein Übungsblock dauert 11 Minuten. Ich persönlich variiere meine Atemfrequenz und wechsle gern mal in einen 5-10-5-Rhythmus: fünf Schritte lang ein- und zehn Schritte lang ausatmen, insgesamt über fünf Minuten. Beginnen Sie in Ihrem ganz persönlichen Rhythmus und verringern Sie die Frequenz langsam über einen längeren Zeitraum. Was ich nicht für möglich gehalten haben, ist die Tatsache, dass man im Ruhezustand mit nur ganz wenigen Atemzügen klarkommt. Trainierte Apnoetaucher können mit einem Atemzug bis zu 5 Minuten auskommen und bis zu 90 m tief tauchen, wobei Ihnen zusätzlich der Taucheffekt zugute kommt. Als Laie ohne Rekordabsichten gelang es mir es mir nach einiger Übung, mit einem Atemzug pro Minute auszukommen. Ohne danach nach Luft zu ringen.

Foto: Wolfgang Schiele

Wechselseitiges Atmen
Empfehlenswert ist der Versuch des wechselseitigen Atmens durch das linke und das rechte Nasenloch. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass das Atmen durch das rechte Nasenloch den Körper aktiviert und das Atmen durch das linke Nasenloch beruhigend wirkt. Einmal wird also der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems angesprochen – der „Sympathikus“ erhöht die Leistungsbereitschaft des Körpers; ein anderes Mal der parasympathische Teil – der „Parasympathikus“ trägt zur Spannungsreduzierung bei. Verschließen Sie abwechselnd die Nasenlöcher und stellen Sie fest, welche individuelle Wirkung eine Wechselatmung bei Ihnen auslöst.

Positive (Aus-)Wirkungen einer willkürlichen Atmung
Bewusst atmen heißt sich bewusst um sich selbst zu kümmern. Atemübungen dienen in erster Linie der Beruhigung und zum Abbau von Stress. Wer den Atem beruhigt, beruhigt gleichzeitig den Geist und sorgt für seinen inneren Frieden. Zudem bekommt man durch diese Ich-nahe Beschäftigung Abstand von den äußeren Problemen, man baut Angst ab und kann neue Energie aufbauen. Die Herzfrequenz sinkt nach einer längeren Übungsphase, ebenso verbessert sich die Herzratenvariabilität im entspannten Zustand. Und eine tiefe und entschleunigte Atmung kann einen wertvollen Beitrag für die Reduktion erhöhten Blutdrucks leisten. Und wenn man das konzentrierte Atmen abschließend noch mit den passenden Affirmationen, den Kraftsätzen an sein Selbst kombiniert, entsteht mit der Zeit eine völlig neues Körpergefühl und eine veränderte Selbstwahrnehmung.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele

© Wolfgang Schiele 2022 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de