
Letztens wurde ich gefragt, wie das Lernen im Alter günstiger verlaufen kann. Und ob Ernährung, Planung und Uhrzeiten einen Einfluss darauf hätten. – Ich führe jedes Jahr einen Seminartag bei einem renommierten Weiterbildner durch, der sich mit dem Thema „LERNEN im ALTER“ befasst. Dabei gehe ich schwerpunktmäßig auf die neuronalen Veränderungen und die Besonderheiten des Lernens im reifen Erwachsenenalter ein. (Und vermeide dabei den floskelhaften Zusatz „lebenslang“. Wenn schon, dann halte ich altersgerecht für korrekt.) Aber was die Ernährung anbetrifft wüsste ich nicht auf Anhieb, welche Speisenfolge oder welcher Sattheitsgrad der günstigere für´s Lernen ist …
Lernen kann grundsätzlich dann besser von der Hand gehen, wenn ich weiß, wie Lernen an sich geht. Welcher Lerntyp in mir dominant ist, welche Wahrnehmungskanäle ich nutze, wie Lernen neuropsychologisch funktioniert und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es zu den Lernmechanismen gibt. Und dann habe ich mich gefragt, im Verhältnis wozu Lernen im Alter günstiger/ungünstiger sei. Im Vergleich zu jüngeren Menschen, zu sozial benachteiligten Menschen oder zu Menschen, denen man das Lernen an sich – durch wen oder was auch immer – vergrault hat. In unsortierter Reihenfolge hier einige ersten Gedanken dazu.
Beim Lernen in einer späteren Lebensphase greifen wir vor allem auf unsere „kristalline Intelligenz“ zurück. Es ist der Wissens- und Erfahrungsschatz, es sind die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die wir uns über ein langes Leben hinweg angeeignet haben. Im Gegensatz zur allgemeinen oder fluiden Intelligenz, die sich in jungen Jahren durch schnelle Wahrnehmung, klares rationales Denken und gezielte Problemerkennung auszeichnet. Mit etwa 30 Lebensjahren überwiegt jedoch die kristalline die fluide Intelligenz, gleicht Defizite bei der allgemeinen Intelligenz aus und unterstützt uns durch die große Praxis, Übersicht und Vernetzungsfähigkeit aus Leben und Lehre. Wir bekommen immer mehr Übersicht über das „Big Picture“ unserer Welt.

Ein nicht zu unterschätzender Lernvorteil im Alter ist, dass wir auf unser vorhandenes „altes“ Wissen aufbauen und integrativ in die Lösungssuche einbauen können. Einmal gemachte Erfahrungen können adaptiert werden auf neue Problemstellungen. An bereitstehendes Basiswissen kann angeknüpft werden, z. B. beim Erlernen von Sprachen. Vorhandene Erkenntnisse brauchen in vielen Fällen „nur noch“ ergänzt und erweitert werden, verfügen über einen hohen Assoziationsgrad und verankern sich dadurch besser.
Der alternde Mensch ist nicht mehr gezwungen, das zu lernen, was andere von ihm verlangen oder einfordern. Er kann frei wählen, was er lernen möchte, wie viel und wie intensiv. Das gibt ihm eine hohe Motivation und er schreibt dem, was er lernt, einen persönlichen Sinn zu. Ich nenne es Eigensinn. Kritischen Stimmen muss er nicht mehr folgen – er selbst definiert für sich die Zweckbindung des Lernstoffes, den er sich aneignet. Die Attraktivität dessen, was er lernen mag, kommt aus dem eigenen Selbst heraus. Dieses intrinsisch motivierte Lernen beschleunigt die Wissensaneignung und festigt Wissen wie automatisch aus dem Eigennutz heraus.
Ein voller Bauch studiert nicht gern, so die Redewendung. Klar, der Kreislauf ist mit Verdauung beschäftigt, wie soll da noch genügend Blut für den Kopf bereitstehen. Aber auch einem leeren fällt das Lernen eher schwer. Also nicht nach üppigem Essen sondern nach leichten Mahlzeiten mit dem Lernen beginnen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Feststellung von Wissenschaftlern, dass wir essentielle und wichtige Entscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen eher gut gesättigt treffen (Stichwort: Arbeitsessen!). Mit leerem Magen mögen wir nur unwesentliche und weniger wirkmächtige Entschlüsse zu treffen. Ich denke, hier gibt es eine gute Analogie zum Lernen …
Unser Gehirn beansprucht für sich gut 20% des Kalorienbedarfes, besonders den Bedarf Zucker. Die Steuerzentrale zuerst – „Head first“ könnte man sagen. Deshalb ist es nicht falsch, für einen gewissen Zuckerüberschuss zu sorgen. Auch Nüsse (Haselnüsse, Pistazien, Walnüsse …) liefern Nervennahrung fürs Gehirn. Sie beinhalten viel Vitamin B und E. Daneben liefern die meisten Nüsse Antioxidantien, Folsäure und Magnesium. Diese Mischung wirkt dem Stress entgegen und nervenberuhigend. Und stressfrei sind wir viel aufnahmefähiger. (Mein langjähriges Ausbildungsinstitut hatte in den Pausen immer Nüsse bereitgestellt und diverse Süßigkeiten für die Zuckerzufuhr angeboten.)
Professor Ernst Pöppel, ein deutscher Psychologe und Hirnforscher, kommt in seinem Buch „Je älter desto besser“ zu dem Schluss, dass wir im Alter zwar langsamer lernen, aber dafür um so sorgfältiger und gründlicher. Im Alter, so Pöppel, schwingt unser Ultrakurzzeitgedächtnis in einem Rhythmus, der räumlich und zeitlich verteilte Informationen in ihrer Gesamtheit besser begreifbar macht. Außerdem arbeitet unser Gehirn selbstzentrierter – es greift öfter auf den impliziten Anteil zurück, der unsere unbewussten Kompetenzen und Emotionen bewahrt.
Auch Gerald Hüther, der bekannte Neurobiologe, ist davon überzeugt, dass man mit 80 Jahren noch Chinesisch lernen kann, wenn man ein emotionales Verhältnis zu einer Muttersprachlerin aufbaut. Viele Nobelpreisträger – gerade im schöngeistigen Bereich – erreichen ihr Lern- und Leistungsmaximum erst mit Ende 50, Anfang 60, wo sie dann auch erst die begehrten Preise erhalten. Arthur Rubinstein, der weltbekannte Konzertpianist, hat noch bis weit in seine achtziger Lebensjahre virtuose Klavierkonzerte gegeben. Und es gibt noch viele Beispiele dafür, dass ältere Menschen große geistige (Lern-)Leistungen im Alter erbringen können.
Was die Leistungskurve des Tages betrifft, muss jeder für sich selbst feststellen, wann Lernen am besten passt, wie es sich in den Tagesablauf integrieren lässt. In der Regel gibt es ein Morgenhoch und ein Hoch am späten Nachmittag – doch das kann individuell sehr verschieden sein. Weiterhin ist das Lernumfeld wichtig, das man sich so angenehm wie möglich gestalten sollte. Ein bequemes Plätzchen in harmonischer Atmosphäre, ein Getränk dabei und ein störungsfreies Umfeld (Digitalmedien aus!) beschleunigen des Lerntempo und verfestigen den Lernstoff schneller. Ausgleichende Pausen mit viel frischer Luft und Ablenkung vom Stoff, sportliche Betätigung und ausreichend Schlaf verbessern die Konzentration und Aufnahmefähigkeit unseres Denkorgans.


Last but not least sollte man die „Ebbinghaus´sche Vergessenskurve“ beherzigen. Sie besagt, dass man zwischen den einzelnen Lernzyklen Pausen einlegen sollte. Je öfter man wiederholt, desto länger sollten die Lernpausen zwischen den Zyklen sein. Denn das Gehirn speichert Wissensstoff nicht beim Lernen, sondern in den Pausen dazwischen. Und so kann man sich schrittweise an 100% seines Lernpensums heranarbeiten. Allerdings: Eine genaue Zeitplanung ist dabei unumgänglich, sonst gerät man in Zeitnot und die zerstört den Effekt.

In meinem Buch „Rastlos im Beruf, ratlos im Ruhestand“ habe ich dem Lernen im Alter ein ganzes Kapitel gewidmet. Dort werden einige altersgerechte Lernmethoden beschrieben, die zumeist für Menschen im reifen Erwachsenenalter geeignet sind. Zudem behandle ich verschiedene Motivatoren, die dem nachberuflichen Lernen zusätzliche Impulse bieten können.
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2023 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de
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