Nach fast 10 Jahren, in denen ich in Sachen „Changemanagement vom Beruf in den Ruhestand“ in Unternehmen und Organisationen unterwegs bin, hat sich eine Tendenz immer wieder bestätigt:
Die übergroße Mehrheit der Arbeitnehmer will so schnell wie möglich raus aus der Arbeit und rein in die Rente!

Doch kaum jemand hat ein Lebenskonzept für die Zeit DANACH! Womit ich nicht die „REG-Klassiker“ – wie Reisen, Enkelbetreuung und Garten – meine. Auf meine Nachfragen, was denn noch so passieren soll im Ruhestand, erschöpfen sich die Antworten oft in nebulösen, klischeehaften Inhalten und reichen zeitlich nicht weiter als für die nächsten 12, 18, ja ausnahmsweise auch 24 Monate. Da der Wunsch der allermeisten „Betroffenen“ aber darin besteht, so zeitig wie möglich den Berufs- durch den Ruhestand zu ersetzen (am besten mit 63 oder gerne auch davor), wird die dritte Lebensphase für den statistischen Durchschnitt der Renten- und Pensionsanwärter noch 20 und mehr Jahre anhalten. Davon mindestens 3/4 der Zeit in verhältnismäßig mobilem und vitalem körperlichen und geistigen Zustand. Nur die Allerwenigsten haben sich über die Zeitfülle im Alter im Vorfeld Gedanken gemacht …

Die Zahl der Berufstätigen, die mit 63 Lebensjahren in die „Späte Freiheit“ wechseln wollen, steigt in den letzten Jahren stetig an – und trägt damit erheblich zu den ohnehin bekannten demografischen Verwerfungen in der Wirtschaft bei. Ein Ende des Fluchttrends aus dem Arbeitsleben ist nicht abzusehen.

Doch woran liegt das? Wenn ich die Bruchstücke aller Kommentare zu einem Ganzen zusammenfüge, dann ergibt sich für mich folgendes Bild: Ältere Arbeitnehmer fühlen sich nicht mehr wirklich in das Arbeitsleben integriert – eine Generationen übergreifende Zusammenarbeit wird von den Unternehmen – wenn überhaupt – nur zögerlich gefördert. Die Veränderungsgeschwindigkeit der Unternehmenswerte nimmt weiter zu und Unternehmensziele werden nur bruchstückhaft kommuniziert. Viele Arbeitnehmer vermissen flexible Arbeitsbedingungen, um sie mit ihren Bedürfnissen und sozialen Rollen im fortgeschrittenen Alter in Übereinstimmung bringen zu können. Einige sind schlicht und ergreifend überfordert beim Umgang mit ständig neuen Technologien und anderen erschließt sich nach der x-ten Neuausrichtung der Betriebsstrategie der Sinn ihrer Tätigkeit nicht mehr. Und noch etwas ganz Wichtiges: Die fehlende Anerkennung und Wertschätzung für die Arbeit geht mit den Lebensjahren mehr und mehr verloren – man wird als zunehmend unbedeutend im Vergleich zu nachrückenden Generationen betrachtet.

Also nichts wie weg! Viele ergreifen die Möglichkeit betrieblicher Vorruhestandsregelungen, andere setzen auf die Rente mit 63 – auch unter Hinnahme nicht unbedeutender Abschläge. Bei vielen soll und muss es schnell gehen – und dabei bleibt die innere Umstellung auf die Rentenzeit und eine gedankliche Vorbereitung auf den Ruhestand auf der Strecke. Auch und vor allem, weil es nur wenige Arbeitszeitmodelle gibt, die ein „Ausschleichen“ aus dem Job unterstützen. Man denkt ja ohnehin: „Danach habe ich es geschafft – alles andere regelt sich von allein. Die neue Freiheit wird´s schon richten!“

Es sind die berühmten zwei Seiten, die sich auch im Übergang vom Beruf in den Ruhestand manifestieren: zum einen die Gewinn- und zum anderen die Verlustseite.
Der Gewinn besteht hauptsächlich in den Freiheiten, die sich eröffnen – wie z. B. die Unabhängigkeit von Aufgaben, der Wegfall von Verantwortung und die Ungebundenheit von Vorgesetzten und vorgegebenen Strukturen.
Der Verlust besteht vorrangig in den Beziehungen, die sich auflösen – wie z. B. das Wegbrechen des sozial-beruflichen Netzwerks, die Trennung von der fachlichen und personellen Macht und die Nutzlosigkeit des bisher erlangten Wissens- und Erfahrungsschatzes, den niemand mehr anfordert.

Die Gewinne werden bewusst überschätzt, die Verluste unbewusst unterschlagen. Doch letztere haben etwas mit der Selbstidentifikation und dem Selbstwertgefühl zu tun. Nehmen sie ab, so sind sie vielfach die Quelle für Gefühle der Wertlosigkeit, der Leere, der Bedeutungslosigkeit bis hin zu Zweifeln am bisherigen und zukünftigen Lebenssinn. Und enden oftmals im berühmt-berüchtigten tiefen Loch …

Deshalb ist es existenziell wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass man sich selbst
1. neue persönliche Freiräume erschließen,
2. entstehende Sozialverluste kompensieren,
3. neue Freitätigkeitsgebiete erschließen und
4. zukünftige Lebenszeit neu strukturieren
muss.
Dabei kann im Vorfeld die Befassung mit Themen des Alterns und des Ruhestandes, das vertrauensvolle Gespräch mit Ruheständlern, das Lesen von Literatur (z. B. „Rastlos im Beruf, ratlos im Ruhestand?“) oder auch die Inanspruchnahme eines altersvorbereitenden Coachings oder Seminares von großem Nutzen sein.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!

Wolfgang Schiele

(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Best ager

© Wolfgang Schiele 2023 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de