BILD Kommunkation 1

Meine ersten vorsichtigen Schritte und Erfahrungen mit dem Thema „Herausforderung Ruhestand“ in der Öffentlichkeit habe ich vor etwa fünf Jahren in Volkshochschulkursen gemacht. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich überwiegend, manchmal sogar ausschließlich, vor Frauen moderierte. Männer waren Mangelware …

Ruhestandsvorbereitung geht eigentlich alle an

… Irgendwann begann ich in die Damenrunde zu fragen, wo sie denn Ihre Männer gelassen hätten oder was sie abhielt vom Kursbesuch, denn das Thema „Ruhestand“ ist ja ein geschlechterübergreifendes. Als Reaktion auf meine Frage verdrehten die Anwesenden ihre Augen und seufzten hörbar und tief. „Fragen Sie bitte jetzt nicht weiter nach, die sitzen wie immer auf der Couch und schauen fern“, klang es zu mir herüber.

Warum interessieren sich nur die Frauen für das Thema Ruhestand? Sind es Desinteresse oder Bequemlichkeit, die das starke Geschlecht, die Herren der Schöpfung, vom Wissenserwerb für die „Späte Freiheit“ fernhalten? Meinen sie, dass man ihnen nicht sagen müsste, wie sie ihre dritte Lebenszeit zu „gestalten“ hätten? Oder stimmt vielleicht die interne Kommunikation zwischen den Partnern nicht …?

Das „Nachrichtenquadrat“ von Friedemann Schulz von Thun

Wie könnte wohl ein mögliches Gespräch im Vorfeld des Kursbesuches der Frau zwischen den Ehegatten oder Lebensgefährten abgelaufen sein …?

… Und an dieser Stelle erinnerte ich mich des „Nachrichtenquadrates“ von Friedemann Schulz von Thun. Sein weithin bekanntes Kommunikationsmodell von den „vier Schnäbeln“ (damit ist der mehrkanalige Sender einer Information gemeint) und den „vier Ohren“ (das ist der mehrfach interpretierende Empfänger der Sprachbotschaft) kann man sehr anschaulich auf  die Beziehung in einer Senioren-Partnerschaft transformieren. Aber der Reihe nach. So sehen erst einmal die vier Seiten des „Nachrichtenquadrats“ aus (hier etwas von mir „abgerundet“ und ergänzt um Kategorien aus anderen Coaching-/Therapietools):

Nachrichtenquadrat

Was ein einzelner Satz an unterschiedlichen Nachrichten enthält

Greifen wir nun das Beispiel des anstehenden Kursbesuches auf. Im Raum stand womöglich ein Satz der Frau, wie:

„Ich gehe heute Abend zu einem Vorbereitungskurs für den Ruhestand in die Volkshochschule.“

Die Absenderin der Botschaft sendet mehr oder weniger „verschlüsselt“ auf folgenden vier Kanälen:

SACHINHALT: „Ich gehe heute abend in die Volkshochschule zum Ruhestandskurs.“

OFFENBARUNG: „Ich möchte nicht unvorbereitet in den Ruhestand gehen.“

BEZIEHUNGSEBENE: „Es wäre so schön, wenn du mitkämest.“

APPELL: „Es täte uns beiden gut, wenn wir Informationen und Impulse für die aktive Gestaltung des Ruhestandes erhielten.“

Der Empfänger könnte mit seinen vier Ohren folgendes „decodiert“ haben:

SACHINHALT: „Sie geht heute weg.“

OFFENBARUNG: „Das mit dem Ruhestand schaffe ich ganz allein auch ohne Weiterbildung.“

BEZIEHUNGSEBENE: „Das wird ja immer schöner: Mich mitschleppen lassen auf eine belehrende Rentnerbildung!“

APPELL: „Sprich mich bloß nicht wieder auf dieses Thema an!“

Unterschiedliche (Be-)Deutungen

Alle o. g. Aussagen sind verbal gar nicht gemacht worden, hinterlassen aber ihre Wahrnehmungsspuren. Aus den auf verschiedenen Kanälen gesendeten Botschaften und infolge der individuellen Persönlichkeitsstruktur des Empfängers können sehr schnell Missverständnisse und Verärgerungen entstehen. Unbewusst werden unterschiedlichste Informationen artikuliert, ohne dass man sich dessen im Moment der Verlautbarung darüber bewusst ist. Dröseln wir das Ganze auf:

> Der Sachinhalt liefert Daten, Fakten und Sachverhalte. Sie können korrekt oder fehlerhaft, wahr oder unwahr, ausreichend oder mangelhaft, wichtig oder irrelevant sein.

> In der (Selbst-)Offenbarung spiegeln sich unterschiedliche Gefühle, Werte, Eigenarten und Bedürfnisse des Senders wider.

> Auf der Beziehungsebene outet sich das persönliche Verhältnis zum Anderen: sowohl verbal (Lautstärke, Tonfall, Emotion …) als auch nonverbal, z. B. durch Mimik und Gestik.

> Der Appell beinhaltet Wünsche, (verbindliche) Ratschläge oder sogar nachdrückliche Handlungsanweisungen für den Gesprächspartner.

Sorgfältiger und mitfühlender miteinander kommunizieren

Allein schon das Wissen um die verschiedenen Kanäle einer Kommunikation ist Gold wert. Ganz besonders in Zeiten des gemeinsam verbrachten Ruhestandes, in der wir viel mehr als gewohnt mit dem Partner zusammen sind. Hier ist zudem derjenige im Vorteil, der die dominanten Zugangskanäle des anderen am besten kennt und so ganz bewusst steuern kann, was beim anderen ankommen soll. Wenn sich dazu noch ein gewisses Fingerspitzengefühl, ein Feeling für Takt und Achtsamkeit hinzugesellt, kurz gesagt: die empathische Karte gezogen wird, dann klappts auch mit dem Kommunikations-Partner!

Wählen Sie Ihre Worte bedachtsam und sorgfältig. Seien Sie feinfühlig und wertschätzend. Erinnern Sie sich an frühere Situationen und daran, auf welchen „Kanälen“ sie in vergleichbaren Situationen erfolgreich waren. Dann sind genau die „Ohren“ aktiv, die das hören wollen, was Ihr „Schnabel“ sagt.

BILD Nachrichtenquadrat 1

Das Thema Ruhestand und das Nachrichten-Modell sind aktueller denn je

Was an der VHS begann, setzt sich für mich seit vielen Jahre fort in Form von Workshops und Seminaren bei mittelständischen Unternehmen, in interaktiven Lesungen über mein Buch („Rastlos im Beruf, ratlos im Ruhestand?“, Springer Verlag 2018) oder als Moderator der Xing-Gruppe „Perspektiven Ruhestand – die Zukunft der Generation 50plus“. Dabei transformiere ich die einschlägigen Formate und Interventionen aus Psychotherapie und Coaching auf die Situation von zukünftigen Ruheständlern und aktiviere so ihr Bewusstsein für die selbstbestimmte und sinnorientierte Gestaltung ihres dritten Lebensabschnittes. Unter anderem an Hand des Nachrichtenquadrates von Schulz von Thun.

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele

© Wolfgang Schiele 2019 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de