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Wenn wir aus psychischer Sicht den Begriff der „Resilienz“ recht klar abgrenzen können, so ist der Terminus der „Big Five“ mehrfach besetzt.

Meine ersten „Big Five“ habe ich durch meine Kontercoach, die in Südafrika als weiblicher Scout u. a. mit der Beobachtung, Hege, Umsiedlung und Beobachtung von Wildtieren beschäftigt ist, kennengelernt. Es sind die fünf typischen Großtiere des südlichen Afrika, denen man auf Safaris regelmäßig begegnen kann: der afrikanische Elefant, das Spitzmaulnashorn, der afrikanische Büffel, der Löwe und der Leopard.

Daneben bin ich mit weiteren „Großen Fünf“ im Kontext zu meiner Fortbildung zum „PEPologen“ (PEP® = Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie nach Dr. Michael Bohne) in Berührung gekommen – genauer gesagt den „Big-Five-Lösungsblockaden“: dem Selbstvorwurf, dem Fremdvorwurf, den Erwartungen an andere, das innere Schrumpfen und die parafunktionalen Loyalitäten.

Im allgemeinen psychologischen Kontext stellen die „Big Five“ ein sprachenübergreifendes diagnostisches System der Persönlichkeitspsychologie dar. Darum soll es hier in erster Linie gehen.

Die „Big Five“ – das ist ein Fünf-Faktorenmodell, das mit Hilfe von umfangreichen Erfassungsbögen hinterfragt, wie die menschliche Persönlichkeit beschaffen ist. International ist es das universelle Standardmodell der Persönlichkeitsforschung. Die fünf Hauptdimensionen beschreiben robuste Faktoren zur Einordnung der Persönlichkeit. Ihnen stehen jeweils sechs Unterskalen, sog. Facetten zur Seite, um die Eigenschaften etwas genauer zu beschreiben. Und das sind die „Big Five“:

NEUROTIZISMUS (emotionale Stabilität)

EXTRAVERSION/INTROVERSION (zwischenmenschliches Verhalten)

OFFENHEIT (Verhältnis zu Erfahrungen)

GEWISSENHAFTIGKEIT (Fähigkeit zur Selbstkontrolle) und

VERTRÄGLICHKEIT (interpersonelles Verhalten).

Jede der Hauptdimensionen befindet sich im Spannungsfeld zweier Extreme, die wie auf eine Skale, bspw. von 0 bis 10, ihre Intensität und Wirkkraft beschreiben.

Es stellt sich die Frage, ob es bestimmte Persönlichkeitsprofile gibt, die seinem Eigentümer auch ohne ein spezielles Resilienztraining eine hohe psychische Widerstandfähigkeit garantieren. Oder anders gesagt: Welche Persönlichkeitseigenschaften bieten schon aus sich heraus gute Voraussetzungen für eine ausgeprägte Resilienz gegen Stress in Alltag und Beruf, bei seelischen Traumata und in persönlichen Krisen?

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Der Neurotizismus umfasst die Spannbreite zwischen Sensibiliät (0) und Unerschütterlichkeit (10). Unerschütterliche Menschen sind weitgehend stressresistent und geben sich eher gelassen. Sie treten selbstsicherer als sensible Menschen auf und können ihre Impulsivität zügeln. Sensible Persönlichkeiten machen sich mehr Sorgen, sind ängstlich und eher angespannt. Ihre verkrampfte Art hindert sie an einer effektiven Lösungssuche. Die weniger Erschütterlichen verfügen dagegen über ein ausgeprägteres Gefühl der Selbstwirksamkeit, die ja eine der wichtigsten Haltungen der Resilienz ist. Daher kann man davon ausgehen, dass eher die „dickhäutigen“, unbefangenen und beherrschten Menschen mit einer Skalenwertung im oberen Skalenviertel im Vorteil sein sollten.

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Die Extraversion/Introversion pendelt zwischen innerer Zurückgezogenheit (0) und hoher Außenaktivität (10) hin und her. Die Kontaktfreudigen, die aktiv und lebhaft mit ihrer Umgebung kommunizieren, werden Krisen und Stress besser wegstecken können. Der introvertierte Mensch ist schüchtern und in sich gekehrt: Er wird seltener nach Hilfe im Außen suchen und seelische Verletzungen dadurch nicht so gut bewältigen können. Extravertierte investieren mehr Aktivitäten in ihre sozialen Netzwerke und deren Pflege, was ein wichtiges Resilienzkriterium darstellt. Bei den Introvertierten kommt hinzu, dass ihre gebremste Heiterkeit und fehlende Fröhlichkeit in Krisen wenig stimmungsaufhellend wirken. Menschen mit Skalenwerten oberhalb von 7, also mit einem hohen Anteil an Extrovertiertheit, sollten daher eine höhere seelische Widerstandsfähigkeit aufweisen.

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Die Offenheit schwankt zwischen den Polen „konservativ“ (0) und „innovativ“ (10). Der Pragmatiker, der konventionell Denkende, verharrt in Stress- und Überlastungssituationen in altem, für ihn bewährtem Denken. Doch wenn die traditionellen Methoden nicht mehr funktionieren, sucht er vergebens nach Auswegen. Der wissbegierige Kontertyp jedoch versucht neue, kreative Lösungen zu finden und stellt Althergebrachtes in Frage. Auswege aus Krisen dürfen für ihn zudem neu und liberal sein. Damit erfüllt er ein wichtiges Resilienzkriterium: die Lösungsorientierung. Allerdings erlebt der Innovative intensive Gefühle und sein breitaufgestelltes und offenes Denken kann von seinen Emotionen auch blockiert werden. Für eine hohe Resilienz ist eine gute Mischung aus Sachlichkeit und innovativer Offenheit mit einer klaren Tendenz in Richtung 6 – 7 wohl der Königsweg.

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Zwischen „spontan“ (0) und „fokussiert“ (10) bewegen sich die Persönlichkeitstypen mit der Hauptdimension Gewissenhaftigkeit. Eine gute Selbstorganisation, gepaart mit Ehrgeiz und Zuverlässigkeit – sie dürften als resilienzstärkende Kriterien gelten. In der Krise sollte nach dem Tiefschlag, dem Absturz oder der seelischen Verletzung ein geordneter Neuaufbau erfolgen und eine persönliche Wachstumsphase eingeleitet werden. Hastiges und planloses Handeln, wie beim Spontanen typisch, sind weniger hilfreich, um in die Normalität zurückzukehren. Eigenverantliches Handeln in Verbindung mit Pflichtbewusstsein und Konzentration auf die Normalisierung der Situation sind zielführender, als ein lockerer und lässiger Umgang mit Stress- und Krisenfolgen. Ein hoher Wert, am besten über 8, wird sich nachhaltig positiv und resilienzsteigernd auswirken.

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Die Verträglichkeit, deren Werteskala von „fordernd und aggressiv“ (0) bis „kooperativ und anpassungsfähig“ (10) reicht, kann unmittelbare Auswirkungen auf die Stabilität der individuellen sozialen Netzwerke haben. Menschen, die misstrauisch sind und vorwiegend vorsichtig agieren, signalisieren wenig Interesse gegenüber anderen und werden als egozentrisch empfunden. Ihr wettbewerbsorientiertes Verhalten ist in Krisensituationen weniger hilfreich. Dagegen schaffen Kooperation und Altruismus, Vertrauen und Zusammenarbeit gute Voraussetzungen für resilientes Wachstum in Stress- und Ausnahmesituationen. Nicht das Verstecken der aktuellen Gefühle, sondern das offene und ehrliche Miteinander stärkt die psychischen Widerstandskräfte für ein resilienteres Leben. Nützlich sind Notierungen im Werteskalenbereich nahe 10.

Die Berührungspunkte zwischen der Resilienz und dem wohl wichtigsten Modell menschlicher Persönlichkeiten, den „Big Five“, sind nicht auf den ersten Blick, aber bei genauerem Hinsehen zu erkennen. Höhere Skalenwerte in den fünf Hauptdimensionen mit klaren Tendenzen zur Dickfelligkeit, Kontaktfreudigkeit, Innovations-, Konzentrations- und Kooperationsfähigkeit machen resilienter und sind gute Voraussetzungen, um Stress, Traumata und Krisen besser und schneller zu bewältigen.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße

Wolfgang Schiele
(Vor-)Ruhestandscoach und Resilienztrainer für Senioren

© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de