Foto: Wolfgang Schiele

Wir leben in einer sehr widersprüchlichen, mehrdeutigen, unberechenbaren und flüchtigen Welt. Manche nennen Sie VUKA-Welt, andere auch dilemmatische Welt. Wir wissen kaum noch, welche Information richtig, welche falsch ist. Oft vermischen sich Aussagen und Erkenntnisse zu einem undefinierbaren Konvolut, das ohne Ordnung und Struktur zu sein scheint. Wir konsumieren all diese Informationen ungeprüft und haben es schon längst aufgegeben, sie im Sinne einer Zielfunktion zu deuten. Und was diese, unsere aktuelle Zeit auch noch auszeichnet, ist oftmals eine dumme, tendenziös ätzende und manchmal bewusst provozierende Kommunikation, die die Regeln des Anstands, des Ethos und der Wertschätzung missachtet.

Konträre Meinungen prallen umgebremst aufeinander, Wissenschaft und Pseudolehren sind untereinander in Dauerfehde und Populisten stellen sich gegen Realpolitiker in der ganzen Welt auf. Da tut es schon weh, wenn Vertreter der Pegidabewegung ihre rechtspopulistischen Ideologien offen und unverhüllt unter die Massen bringen können, wenn der Klimawandel noch immer hartnäckig geleugnet oder wenn am Biertisch im Brustton der Überzeugung nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet wird. In scheinbar immer mehr Lebenssituationen werden wir konfrontiert mit Meinungen, Thesen und Weltbildern, die wir mit unserer eigenen Wertewelt nicht vereinbaren können, die in uns heftigen Widerspruch und Empörung auslöst und uns im Protest, zornig und wütend, zurücklässt.

In einer ersten Reaktion möchten wir energisch dazwischengehen. Wir sind schnell dabei, mit unseren besten Argumenten, unseren langjährigen Überzeugungen und unserem geschulten Verstand eine Gegenposition aufzubauen. In der tiefen Gewissheit, andere in unserem Sinne missionieren zu können, möchten wir in die Diskussion eingreifen und eine siegreiche Redeschlacht führen. Emotional sind wir in derartigen Situationen regelmäßig nulltolerant und selbstfokussiert, was das Verständnis für den Standpunkt des anderen, die Billigung eines Argumentes oder ein Zugeständnis für ein Detail kategorisch ausschließt.

Was kann man tun?
Wie sollen wir reagieren?
Was führt zu einer situationsentschärfenden Lösung?

Foto: Wolfgang Schiele

Schön wäre es, wenn wir mit der Gelassenheit des Alters, einer ausgeglichenen inneren Balance und der Duldungsfähigkeit eines lethargischen Dickhäuters reagieren könnten. Das würde von einem hohen Maß an Ambiguitätstoleranz zeugen. Gut wäre auch, wenn wir unsere Emotionen zügeln und einen Moment der Abwägung, des Duchschnaufens oder der Erdung einschieben könnten. Und passend wäre es, wenn wir ein schlagfertiges Argument, einen geistesgegenwärtigen Satz parat hätten. Der möglichst deeskalierend, entmachtend und neutralisierend wirkt. Prof. Johannes Kemser schlägt dafür folgenden Einwurf vor:
„Wenn Sie meinen!“

Diese Art von Erwiderung auf eine empörende und vielleicht bewusst provozierende, aktive oder passive Verbalattacke, verzichtet auf eine Gegenprovokation und lässt die Argumentation des Gegenübers weitgehend ins Leere laufen. Zugleich bleibt sie wertschätzend und respektvoll. Sie hat nichts Besserwisserisches an sich und geht nicht in die Konfrontation, sondern auf Toleranz zum anderen. Ohne dabei ein Zugeständnis, eine Bestätigung oder ein Anerkenntnis des Anwurfes zu sein.

Eine meiner Ausbilderinnen während der Coachausbildung empfahl die Methode der „theatralisch-temperamentvollen Empörung“. Sie besteht aus zwei kurzen Sätzen. Nach dem Anwurf, mit dem wir ein ethisches Problem haben oder uns zutiefst verletzt fühlen, entgegnen wir laut und nachdrücklich mit: „Wie bitte???“ Wenn daraufhin eine – wie auch immer geartete – Erläuterung folgt, dann schieben wir den neutralisierenden Satz: „Das sagten Sie bereits!“ hinterher. In den allermeisten Fällen bricht hier der konträre Dialog ab …

Ambiguitätstoleranz ist also die Fähigkeit, widersprüchliche, mehrdeutige und auch provokative Situationen auszuhalten und produktiv zu bewältigen. Wer darüber hinaus über ein hohes Selbstwertgefühl verfügt, ist gut gerüstet für das aktive oder passive Zulassen, Dulden und Hinnehmen von Ideen und Meinungen, gegen die man selbst im Innersten Ekel und Abscheu empfindet. Und auch gut gewappnet für die Widersprüche und Anfeindungen in dieser dilemmatischen Welt.

Eine Schwester der Ambiguitätstoleranz ist die Frustrationstoleranz. Wenn Sie neugierig sind, woher sie kommt, wie sie sich äußert und was man zur Stärkung derselben tun kann, dann finden Sie hier sicherlich passende Ausführungen: https://wp.me/p7Pnay-2g1.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele

© Wolfgang Schiele 2020 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de