
Haben Sie schon einmal über Ihre Sinnentwicklung nachgedacht? Oder anders gefragt: Wie und in welcher Lebensphase hat sich bei oder in Ihnen ein Lebenssinn entwickelt, und wann ist er womöglich auch wieder verlorengegangen? Denn eines ist klar: Wir werden von der Natur weder mit einem Sinn-Such-Auftrag ausgestattet noch mit einem Sinn-Haft-Anhänger ins Leben entlassen. Wenn wir sinnvoll – also „voll mit Sinn“ – leben wollen, müssen wir uns schon selbst einige Gedanken darüber machen.
In meiner Kindheit und Jugend habe ich – wenn überhaupt – wohl nur sehr vage über den Sinn des Lebens nachgedacht. Womöglich auch deshalb, weil meine Schul- und Ausbildungszeit weitgehend bestimmt wurde durch die „Segnungen“ einer behütenden Gesellschaftsform: da war die Klarheit der einzuschlagenden Entwicklungsrichtung, eine vorgegebene Denkweise und die Aussicht auf ein einigermaßen glückliches und erträgliches Leben. Meine von Externen vorbestimmte Position in einer sozialistischen Ordnung nahm mir die Bürde der Sinnsuche ab. Ich war das Mitglied einer Gesellschaft, die mich dorthin stellte, wo es ihr am besten erschien – und mich somit von der Frage nach dem höheren Sinn meiner Stellung im Gemeinwesen in (aus heutiger Sicht) sogar dankenswerter Weise entlastete. Denn in Phase 1 war ich voll und ganz mit der Suche nach meiner eigenen Identität beschäftigt. Für mich war die Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ weitaus wichtiger als meine Zweckbestimmung im Gesellschaftssystem oder in einem noch größeren Ganzen. Das nahm mich bis zum Berufseintritt vollständig in Beschlag und ich entwickelte kaum eigene Sinntreiber.
Die zweite Lebensphase war geprägt durch die Suche nach meiner Profession und meinem Lebensstil. Die Fragen „Was bin ich, was will ich sein, wie will ich leben?“ verdrängten erfolgreich jegliche Gedanken nach einem übergreifenden Existenzzusammenhang in der Welt oder nach einer persönlichen inneren Mission. Ich wollte für mich etwas erreichen, wollte konkrete Aufgaben erledigen, übertragene Funktionen erfüllen und dafür im Rahmen der Möglichkeiten ein weitgehend barrierefreies Leben im Mainstream des damaligen gesellschaftlichen Konsenses leben. Noch immer entwickelte ich keine Ansätze für eine aktive Spurensuche nach dem Lebenssinn. Fremdgesteckte Eckpfeiler und begrenzende Leitplanken hielten mich auf dem sozial erwünschten Kurs. Eine latente Zufriedenheit hielt in mir Einzug, ich kletterte die Karriereleiter ein wenig höher hinauf und hielt mich für angekommen und eingerichtet in meiner Welt.
Die Phase 3 begann mit dem Zerfall des alten Ordnungssystems und damit auch meiner bis dahin akzeptierten, ja sogar geschätzten, wenn auch anscheinend sinnneutralen Welt. Gerade als ich mich aufmachte, mich an das Phänomen Sinn heranzutasten, wurde der Glaube daran abrupt entzaubert. Und es geschah genau das Gegenteil: Das zarte Pflänzchen, das sich als Lebenssinn voranarbeitete, wurde brutal zertreten. An die Stelle wachsender Sinnhaftigkeit trat nun der Sinnverlust. Und die existenziell wichtige Frage: „War das alles umsonst, und: Was wird von mir bleiben?“ Der Systemwechsel wurde zum frühen Totengräber einer gerade geborenen Sinnsuche. Und es brauchte viele Jahre, ja Jahrzehnte, bis ich nach der Abkehr von abhängiger Lohnarbeit in eine – wenn auch materiell ausreichend flankierte – neue, vierte Lebensphase einschwenkte, die mir sinnhaft erschien …

Und damit begann im reifen Erwachsenenalter mein (noch nicht zu) später Neustart auf dem Weg zur Sinnfindung: Meine Freitätigkeit. Eine Abkehr nicht nur von früheren gesellschaftlichen Restriktionen, sondern eine komplette Denkumkehr über das Thema fremdgesteuerter Erwerbsarbeit. Es folgten einige wenige Jahre der beruflichen Freiheitsausübung als Trainer, Berater und Coach. Und obwohl sie lediglich eine kleine Lebensspanne ausmachen, so waren und sind es doch beglückende Momente, die mir höchst sinnvoll und erfüllend erscheinen und enorm zu meiner heutigen Gelassenheit und persönlichen Zufriedenheit beitragen. Ich hatte die Antwort auf die Frage „Wofür lebe ich?“ gefunden. Ich hatte den Lebenszielgipfel bestiegen und fühlte mich innerlich wie auch von extern bestätigt.
Die letzte Phase erlebe ich jetzt. Ich nenne sie „After-Sense-Age“. Sie benötigt nicht zwingend einen Lebenssinn, weil alles, was ich aus meinem tiefsten Innersten heraus tun wollte, getan ist und mich bereits beglückt hat. Und sollte dennoch eine unerwartete weitere Sinnquelle für mich sprudeln, so werde ich sie den Erkenntnissen meiner Welt hinzufügen und dankbar als eine Art willkommener Bonus in mein Leben aufnehmen.
PS: Wer weitere Beiträge zum Thema Lebenssinn in diesem Blog sucht, wird in den Vorgängereiträgen fündig unter:
https://wp.me/p7Pnay-3Be (Sinn-ergien 1:“Ich glaub´, ich hab meinen Lebenssinn schon hinter mir …“) und https://wp.me/p7Pnay-3CS (Sinn-ergien 2: „Was die Sinnfindung so schwer macht“)
Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2022 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de
Kommentar verfassen