
Ich bin auf der Suche nach dem Zweckmaß für das, was mit meinen Fotografien geschehen soll und welche Wirkung sie nach außen haben könnten. Habe ich sie allein für zu meiner Erbauung geschossen und vielleicht noch für den engsten Familienkreis? Möchte ich mich von Zeit zu Zeit daran erfreuen, positive oder nachdenkliche oder absurde oder traurige Gefühle in mir auslösen? Finden die Bilder dadurch ihre Bestimmung, dass ich sie großzügig in meine Vorträge, Seminare und Workshops einbaue, um bei den Teilnehmern Bewunderung zu erzeugen und Anerkennung zu erzielen? Bin ich auf die breite öffentliche Meinung und die Rückmeldung von professionellen Fotografen scharf, um mein Ego zu stärken und meine Selbstwirksamkeit zu bestätigen? Was tun mit den geschätzt weit über 10.000 Fotos, die in den vergangenen 10, 12 Jahren entstanden sind …?
Neulich habe ich mich ein wenig schlau machen wollen zum Verkauf von Bildern an Stockfirmen wie Adobe/fotolia, iStock oder Shutterstock. Ohne ins Detail zu gehen: Es ist schon ernüchternd, was man auf diesen Plattformen als verkaufender Fotograf für Vergütungen pro Foto erhält bzw. erhalten kann. Selbst absolute Profis müssten tausende von exquisiten Aufnahmen im Monat hochladen, um davon halbwegs leben zu können. Dabei müssen die Bilder absolut perfekt sein. Und das erreicht man heute vorrangig durch Bildbearbeitungsprogramme, die z. B. über eine automatische Objekt- oder Schnellauswahlwerkzeugmöglichkeit verfügen, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten (um beispielsweise die Stile von berühmten Malern nachzuahmen) oder einen makellosen Wolkenhimmelaustausch hinbekommen. Fotografie verliert ab dem Moment, wo sie als kodierte Pixelsammlung auf einem Chip auf eine fortgeschrittene Bearbeitungssoftware trifft, ihren analogen Status als Abbildung der Wirklichkeit.


Die hochgradige Veränderung und Verfremdung von Motiven und die Ausmerzung von tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlern und Makeln mag den Grad der Perfektion steigern, doch es ist äußerst fraglich, ob die Bildergebnisse dann noch den ursprünglichen Intentionen des Fotografen entsprechen. Durch die qualitativen Anforderungen von Bilddatenplattformen und den immensen Preisdruck entsteht der Zwang und/oder die Sucht nach Vollkommenheit, die ein potenzieller Bilderkäufer als Mindestanforderung wie selbstverständlich an das Produkt stellt. Es ist wie in einer Kaufhalle: Nur absolut makellose Äpfel und Birnen haben überhaupt eine Chance, ihre Käufer zu finden. Sie sind mehrfach gespritzt, wurden in Trockenzeiten durchgehend künstlich bewässert, handgepflückt und handverpackt. Produkte mit demselben Geschmack und Aroma werden wegen der fehlenden Brillanz und Schönheit ihres Äußeren hingegen durch den Konsumenten verschmäht. Die Ökobilanz wird nicht hinterfragt. Die grenzenlose Leistungsgesellschaft lässt grüßen.


Für mich markiert die moderne Kamera eine klare Trennungslinie zwischen der realen, analogen Wirklichkeit (also der natürlichen Welt) und der digitalen Landschaft (also der transformierten Realität) auf einem Chip. Die Kamera ist ein Transformator zwischen einer tatsächlichen und wahrhaftigen Umgebung und einem sterilen Computerbild, das im Nachhinein (fast) beliebig verändert werden kann. Was uns in der real existierenden Bilderwelt der Menschen nicht passt, ist über Algorithmen nach Belieben wandelbar und enthält danach nur noch bestimmte Anteile des vormals Natürlichen. Deshalb lohnt es sich immer wieder vor einer Aufnahme ganz bewusst v o r die Kamera zu treten und den Eindruck, die Imagination des Natürlichen zu genießen, sich der Faszination der Schöpfung hinzugeben und sich dabei seiner eigenen Existenz gewahr zu werden, bevor das Motiv durch einen Knopfdruck eingefroren wird. Wirkliches Erleben geschieht eben nur in der Gegenwart. Mit dem Abdrücken des Auslösers wird augenblicklich ein Moment der Vergangenheit eingefroren, der sich nun dem Willen und der Gunst des Fotobearbeiters, des Stockanbieters bzw. des Bildkonsumenten bedingungslos unterwerfen muss.


Bei aller Kritik an der Kommerzialisierung der Fotografie eröffnen sich mit der Weiterentwicklung der Kamera- und Verarbeitungstechnik natürlich auch völlig neue und kreative Frei- und Spielräume im Umgang mit der Fotografie. Ich lerne beispielsweise nebenbei eine Menge über die Kamera- und Objektivtechnik, zur Auswahl von Motiven, zu Aspekten der Bildgestaltung sowie zur qualifizierten Fotobearbeitung. All diese Erkenntnisse und Erfahrungen werde ich jedoch eher v o r der Kamera als zur Optimierung von bildbearbeitenden Verkaufspotenzialen nutzen. Fotografie soll für mich zu ausgewogenen Anteilen gleichzeitig Kunst, Handwerk und Spaß sein. Ich möchte mich auch an einem für Profis vielleicht technisch suboptimalen Bild erfreuen können, wenn es denn meinen Ansprüchen und Maßstäben entspricht. Und ich möchte die Freude und Genugtuung über das Ergebnis mit anderen auf sozialen Plattformen und in Webinaren/Seminaren teilen dürfen.
PS: Die Bilder entstammen meiner Serie „Impressionen am Alt Madlitzer See“.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele
© Wolfgang Schiele 2022 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de
14. März 2022 at 16:18
Danke für das Kompliment!
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14. März 2022 at 15:35
Ganz phantastische Photos!
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