
Wenn wir die Arbeitswelt – also unser angestammtes berufliches Umfeld – verlassen, dann geht uns etwas sehr Wichtiges im Leben verloren: Die Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe von Menschen, mit denen wir viele Jahre oder gar Jahrzehnte lang fachliche und berufliche Inhalte geteilt haben.
Verschiedene Arten des Abgangs
Der Abschied wird regelmäßig durch zweierlei Arten von Anlässen eingeleitet: Durch die gewollte, freiwillig bekundete Absicht, das Arbeitsleben hinter sich lassen zu wollen und nunmehr in den Stand der Ruhe zu treten. Oder die unfreiwillige Variante, bei der uns ein Arbeitgeber aufgrund unseres erreichten Alters oder wegen betrieblicher Erfordernisse in den „wohlverdienten“ Ruhestand nach Hause schickt. Beim Zurücklassen der Arbeit durch eigene Willensbekundung fühlen wir uns seelisch meist besser – oftmals haben wir uns auf die Zeit nach der Trennung geistig vorbereitet. Meinen wir zumindest. Ein nicht selbst gewählter Abschied löst dagegen in uns eher schlechte Gefühle aus: „Ich werde nicht mehr gebraucht.“, „Ich bin zu alt für den Job.“ oder: „Die wollten mich ganz elegant loswerden.“ Man fühlt sich zurückgewiesen, ausgegrenzt, überflüssig …
Folgen aus dem Abschied vom Beruf
Allerdings kann auch ein freiwillig gewählter Ausstieg genau wie die aktive Ausgrenzung aus dem Beruf im Extremfall zu zwei diametralen Reaktionen führen: zu erhöhter Aggressivität oder zu Depressionen. Auch ist die Art der Reaktion und die Intensität auf den Abgang aus der Berufswelt zwischen den Geschlechtern recht unterschiedlich. Frauen z. B. haben sich während der Zeit ihrer Berufstätigkeit zumeist ein größeres soziales Netzwerk aufgebaut, das oftmals auch weit über die familiären Kreise hinausreicht. Bei Männern, insbesondere wenn sie weiter oben auf der Karriereleiter standen, bricht das bisherige berufliche Netzwerk schon sehr bald und irreparabel zusammen und kann nur nur selten kompensiert werden.
Angehende Ruheständler bilden drei Gruppen
Wir Menschen waren im Laufe unserer Entwicklung zwingend auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe angewiesen. Ausgestoßen oder ausgegrenzt zu werden bedeutete gleichsam den baldigen Tod. Man ergab sich entweder seinem Schicksal oder man wurde kämpferisch, scharte Gleichgesinnte um sich und versuchte mit Gewalt die verlorene Zugehörigkeit zurückzugewinnen, ja gar die Ausgrenzer selbst auszugrenzen. Nun ist es in unserem gesellschaftlichen Kontext regelmäßig nicht möglich, ein Leben lang zur Gruppe der Beschäftigten, Arbeitnehmer, Angestellten zu gehören. Und schon gar nicht in den Kampf zu ziehen für die Rückeroberung des bisherigen Arbeitsplatzes. Deshalb gilt es Alternativen zu suchen für die Zeit nach dem primären Beruf. Nach meiner Erfahrung sind etwa ein Drittel aller Menschen mit ihrem Übergang in den Ruhestand zufrieden und haben das vorangegangene Berufsleben für sich endgültig losgelassen und abgehakt. Ein anderes Drittel ist desorientiert und befindet sich in der latenten Gefahr, sich mit dem Wegfall des sozialen Arbeitsumfeldes und dem Verlust von Aufgaben als nutzlos zu betrachten und im schlimmsten Fall in ein tiefes Loch zu fallen. Und ein weiteres Drittel der Berufsaussteiger begibt sich auf die Suche nach einer erfüllenden Tätigkeit, die ihren gewandelten Ansprüchen und Fähigkeiten im reifen Erwachsenenalter entsprechen könnte. Leider ist unsere Gesellschaft sehr schlecht vorbereitet auf die Welle von Babyboomern, die in den kommenden Jahren die „Ruhestandswelt“ betreten wird. Wir sprechen hier von bis zu 15 Millionen Menschen, die nach Angeboten suchen, um ihre dritte Lebenszeit sinnvoll, gewertschätzt und erfüllt zu gestalten.
Die Welle kommt ins Rollen – und wir sind unvorbereitet
Der Boom bspw. auf die Rente mit 63 – möglichst ohne Abschläge (die Flexirentenregelung machts möglich …) erlebt gerade einen Höhepunkt. Soll heißen: die Menschen freuen sich auf die neue Freiheit. (Weil sie sich im Beruf zu sehr eingeengt fühlten …?). Aber sie sollten auch darauf vorbereitet werden! Und man sollte ihnen Betätigungs- und Hilfsangebote unterbreiten! Und ihnen auch klar machen, dass die dritte Lebensphase statistisch betrachtet gut 20 Jahre ausmachen wird! Wenn sie diese Zeit sinnhaft, erfüllend und selbstbestimmt gestalten wollen, müssen sie selbst aktiv werden, ihr Leben planen und eigenverantwortlich managen. Denn die Politik hat bislang keine Kultur des Alter(n)s hervorgebracht oder gar ausgestaltet. Alles was sie bisher tat, war die treuen Altwähler mit finanziellen Rentensteigerungen bei der Stange zu halten. Im gesicherten Wissen darum, dass gerade Menschen um das 60. Lebensjahr herum und in den Folgejahren verstärkt psychisch erkranken, sollte die Gesellschaft alles tun, um Einsamkeit, Untätigkeit und das Gefühl der Nichtgebrauchtwerdens zu bekämpfen. Und dabei neue Modelle der gesellschaftlichen Teilhabe, einer seniorengerechten Weiterbeschäftigung und/oder einer nutzbringenden „Freitätigkeit“ (wie Prof. Leopold Stieger aus Wien es nennt) entwickeln.
Das mittlerweile fünfte Unternehmen ist vor Kurzem an mich herangetreten, weil es erkannt hat, dass die langjährigen Mitarbeiter nun knapp vor dem Übergang in den Ruhestand eine qualifizierte, beratende Unterstützung für die dritte Lebenszeit gut gebrauchen können. Weil sie ihnen ein wertvolles Startkapital schon vor dem Eintritt in den Ruhestand an die Hand gibt und die verschiedenen Aspekte in unterhaltsamer und spielerischer Form herausarbeitet und dabei Lösungsimpulse anbietet. So sind zumindest meine Workshops und Seminare konzipiert.
Ihr (Vor-)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele
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