Foto: Wolfgang Schiele

Sie entstehen in milliardenfacher Ausfertigung, und das wahrscheinlich sogar täglich – Fotos. Insbesondere mit unseren Smartphones (von denen es mehr gibt als Menschen die Erde bevölkern). Weniger mit den professionellen Kameras, deren Verkaufszahlen (leider) rasant abstürzen. Ist ja auch nachzuvollziehen – mit dem Fotoapparat kann man nicht telefonieren, mit dem Smartphone wohl – und eben auch fotografieren. Obwohl ich fast meine, dass sein ursprünglicher Zweck (ähnlich wie bei der Fotokamera) langsam, aber sicher, verlorengeht. Es wird – wenn ich meine Umgebung beobachte – weniger telefoniert als fotografiert (pardon: eher geknipst), zumindest was die Datenvolumina angeht 😉

Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele

Warum fotografieren wir unsere Umgebung und unsere Mitmenschen? Was macht den Reiz, den Zauber, die Attraktivität von Bildern aus? Was ist seit der Erfindung des „Lichtbildes“ so faszinierend, dass wir nach fast 200 Jahren Fotografiegeschichte immer noch Motive auf einen – wie auch immer gearteten -Datenträger bannen? Und niemals aufhören werden, solange wir uns und die erlebte Welt damit präsentieren können? Z. B. auf Instagram oder Flickr, als Anhang bei WhatsApp oder als visuelle Ergänzung zu einem XING-Beitrag?

Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele

Mich persönlich fasziniert die Schönheit des Momentes, die Einzigartigkeit der Situation, die Unumkehrbarkeit des Ereignisses. Fotos frieren die Zeit ein – sie halten einen Augenblick fest, der sich in dieser Form so nie wiederholen wird. Ohne Fotos wäre unsere Vergangenheit weitestgehend öde und zusammenhanglos – vielleicht sogar komplett verloren. Die Erinnerung an verflossene Zeiten wäre ohne visuelle Unterstützung aseptisch, unscharf und weniger farbenfroh. Denn beim Betrachten der Fotos schalten sich über unsere Körpererinnerung ganz automatisch weitere Wahrnehmungskanäle hinzu: unser Geruchs- und Geschmackssinn, zuweilen sogar unser Tastsinn. Denn der Körper hat parallel zu all dem, was der Kopf sinnlich aufgenommen hat, die situativen Emotionen ebenfalls aufgezeichnet. Dabei handelt es sich um sog. somatische Marker (soma = griech. der Körper). Das sind Körpersignale, die wir zur Bewertung der (damaligen) Situation unbewusst mit abgespeichert haben. Sie können positive Gefühle auslösen (ein Prickeln auf der Zunge oder die berühmten Schmetterlinge im Bauch …), aber sie können uns auch belasten (wie z. B. Muskelverspannungen im Schulterbereich, der berühmte Kloß im Hals …). Der Begriff des somatischen Markers wurde vom portugiesischen Neurowissenschaftler Antonio Damasio eingeführt und ist zieht sich wie ein roter Faden auch durch ein Coachingtool: das Zürcher Ressourcenmodell (ZRM), das Maja Storch und Frank Krause in den 90er Jahren an der Uni Zürich als Selbstmanagementverfahren entwickelt haben. Und hier schließt sich auch der Kreis: Es arbeitet mit Bildern, die unsere inneren Ressourcen und Fähigkeiten aktivieren sollen, um persönliche Ziele erreichbar zu machen. Denn Bilder, so die ZRM-Entwickler, sind die Brücke zwischen dem Verstand und dem Unbewussten.

Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele

Somatische Marker wirken unbewusst und lösen dennoch eine Vielzahl von Eindrücken, Stimmungen und Empfindungen aus. Beim konzentrierten Betrachten eines Fotos, das wir selbst gemacht haben, befinden wir uns wieder genau am Ort des Geschehens und erleben das Ereignis ein weiteres Mal – die Freude, die Entspannung, die Freiheit; aber auch die Angst, die Beklommenheit oder die Unbarmherzigkeit des Momentes. Damit können sich Erinnerungen weiter festigen und gemachte Erfahrungen noch mehr vertiefen. Gleichzeitig verorten wir den fotografierten Augenblick auch wiederholt an der selben Stelle unserer eigenen Biografie. Das macht unser Dasein authentischer und unser Selbst-Bewusstsein erscheint uns wahrhaftiger.

Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele
Foto: Wolfgang Schiele

Bilder sind eingefrorene Zeitzeugen. Sie berichten immer von der Vergangenheit. Das Betrachten von Bildern ist somit stets auch eine Regression in eine vor dem Heute liegende Zeit, die als ganzheitlicher Erlebnismoment ansonsten für immer verloren wäre. Bilder sind die smarten Vehikel eines erwünschten Rückfalls in unsere Vergangenheit, aus der sich unsere Gegenwart erst entwickeln konnte. Und ein jedes hat nicht nur die eine besondere Ästhetik und eine inspirierende Magie, sondern auch die Fähigkeit, in uns vergangene Lebenswelten zu aktualisieren.

PS: Alle Fotos sind meinem Bildarchiv „Tulpenvielfalt“ entnommen.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele

© Wolfgang Schiele 2022 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de