Foto: Wolfgang Schiele

Adaptabilität im Alter ist wichtig, um einen hohen Grad an Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit zu erreichen und auch aufrechtzuerhalten. Wenn es uns gelingt, in den Lebensbereichen, in denen meist ungefragt und ohne große Vorlaufzeit unerwünschte Veränderungen eintreten, dann haben wir gute Chancen auf eine erfüllte, entspannte und insgesamt ausbalancierte dritte Lebensphase.

Die nach meinen Erfahrungen wichtigsten Lebensbereiche, in denen sich zwischen zwei gegensätzlichen Polen nachhaltige Veränderungen entwickeln können (und auf die wir wenig oder gar keinen Einfluss haben), sind folgende:

* Gesundheit versus Krankheit;
* Verbundenheit/Zugehörigkeit
versus Einsamkeit/soziale Isolation;
* Gesellschaftliche Teilhabe
versus Nicht-Gebraucht-Werden;
* Struktur und Zeitmanagement
versus Planlosigkeit und Langeweile und
* Erleben
versus Tod.

Für das Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Krankheit kommen drei der im vorangegangenen Blogbeitrag (https://wp.me/p7Pnay-32l) genannten Kriterien unserer Adaptationsfähigkeit besonders zum Tragen: die Selbstverantwortung, der Fokus und die Reflexion.
Mehr als in früheren Zeiten kommt es im Alter auf einen selbstverantwortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit an: Wir sollten uns ausgewogen und gesund ernähren, für ausreichende Bewegung an frischer Luft sorgen, Dinge tun, die uns Spaß machen, die Gemeinschaft suchen und eine positive Haltung zu uns selbst und der Welt einnehmen. Nicht die harte Konfrontation mit der Krankheit sollte im Fokus unseres Handelns stehen, sondern die aktive Hinwendung zur Gesundung, hin zu einem den Umständen angemessenen, erstrebenswerten Zustand.
Je besser wir unseren (sich verändernden) Gesundheitszustand verstehen, mit ihm umzugehen wissen und dessen sinnliche Bedeutung erkennen, umso besser wird unser Gesamtverständnis für die dialektische Balance zwischen Gesundheit und Krankheit. Menschen, die ihre Krankheit oder Störung logisch nachvollziehen können, den Umgang mit ihr lernen und die Bedeutung der Beschwerden verinnerlichen und sie ggf. in ihr Leben integrieren, verhalten sich kohärent und verfügen über einen großen Anpassungsvorteil.

Zwischen den Gegensätzen von Verbundenheit und Einsamkeit können Kriterien der Adaptabilität wie die Neugierde, der Mut und die Bindung vermitteln.
Wer nur wenig oder kein Interesse an neuen Ideen, Zielen oder Menschen entwickelt, bleibt weitgehend in sich selbst verschlossen. Mit dem Ruhestand gehen soziale Netzwerke verloren, die privaten werden meist nicht größer. Will man nicht vereinsamen, so bedarf es einer gewissen Neugier, sich Unbekanntem, Ungewöhnlichem oder Unentdecktem zu stellen. Sich anpassen an neue Gruppen, Vereinigungen und Milieus ist eine Adaptationsaufgabe, die viel Mut und Eigeninitiative erfordert. Aber auch belohnt wird durch wertvolle Kontakte und den Aufbau wunderbarer Beziehungen. Mit zunehmendem Vertrauen und wechselseitigem Austausch können Bindungen entstehen und sich fortentwickeln, die sich gegenseitig ergänzen und befruchten. Mit jeder weiteren Beziehung steigt zugleich die gesellschaftliche Teilhabe und soziale Isolation wird weniger wahrscheinlich. Der Adaptabilitätsquotient wächst.

Mit dem Übergang in die Rentenzeit fragen sich viele Menschen, wie sie noch am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Fehlen die Angebote oder lahmt die Eigeninitiative, kann es schnell zur Ausgrenzung und dem Gefühl des Nicht-Gebraucht-Werdens kommen. Hier können die Anpassungskriterien Bindung und Selbstverantwortung helfen.
Mancher, der in den Ruhestand geht, fühlt sich nach einer gewissen Zeit des Übergangs in die Ecke gestellt. Das, was ihn oder sie im Beruf erfolgreich gemacht und Anerkennung eingebracht hat, ist weggefallen. Man fühlt sich überflüssig. Auf dem Höhepunkt des beruflichen Fachwissens und der größten Fülle an Fähigkeiten wird man de facto „entberuflicht“. Eine Option, sein Wissen zu erhalten, ist seine Transformation: die Übertragung von beruflichen Fähigkeiten auf andere Lebensbereiche. Da wird z. B. der frühere Bereichsleiter im Unternehmen nun im Ruhestand zum Bergführer im Alpenverein. Oder der bisherige Buchhalter übernimmt im Verschönerungsverein die Schatzmeisterei und verdrängt so das Gefühl drohender Leere.

Im Spannungsfeld zwischen Struktur und Planlosigkeit bzw. Zeitmanagement und Langeweile spielen nach meiner Überzeugung die Adaptationskriterien des Fokus und der Selbstverantwortung eine herausragende Rolle. In unserem bisherigen Berufsleben haben äußere Faktoren unsere Zeitver(sch)wendung bestimmt. Wir waren „gefangen“ im Netz räumlicher und zeitlicher Zwänge und Vorgaben. Die nun im Ruhestand einsetzende Freiheit stellt uns, was die Gestaltung der dritten Lebensphase betrifft, auf eine harte Probe: Wir ganz allein müssen uns auf die Strukturierung des Tagesablaufs und die Platzierung der Alltagsroutinen fokussieren. Niemand, außer wir selbst, tritt als Gestalter unseres Lebens auf. Wir haben de facto keine Vorgaben mehr und müssen uns selbst neu erfinden! In unserer „Späten Freiheit“ zeigt sich, dass die Lebensphasengestaltung ein permanentes Projektmanagement ist: Ohne die Eigenplanung von Zielen, Abläufen und Höhepunkten laufen wir Gefahr, in Langeweile zu versinken, ein „Boreout-Syndrom“ (von boredom im Englischen = Langeweile) zu bekommen und womöglich in das berüchtigte tiefe Loch zu fallen. Ein flexibles Zeitmanagement, das z. B. 40% der Tagesstruktur fix vorgibt und 60% für „Unvorhergesehenes“ freihält, wäre nach meinem Dafürhalten ein guter Ansatz.

<p class="has-drop-cap has-background" style="background-color:#f0cfd7" value="<amp-fit-text layout="fixed-height" min-font-size="6" max-font-size="72" height="80">Zwischen den beiden Gegensätzen <strong>Erleben</strong> und <strong>Tod </strong>können die Anpassungskriterien <em>Mut</em> und <em>Reflexion </em>Bedeutung erlangen. Während wir uns im beruflichen und familiären Kontext der mittleren Erwachsenenjahre kaum Gedanken um den Tod gemacht haben, treten wir nun in einen Lebensabschnitt ein, in dem wir uns unweigerlich und mutig den Fragen nach dem Tod stellen müssen. Die plötzlich grenzenlos freie Zeit führt fast zwangsläufig zur Reflexion über unser Leben und Gedanken an den Tod. Die Rückerinnerungen an emotional wichtige Highlights unseres Lebens, und der Mut, vielleicht noch einmal etwas existenziell Wichtiges zu unternehmen, machen es uns einfacher und leichter, die finale Phase unserer Existenz gelassen zu durchleben und dann den Tod als folgerichtigen Abschluss eines erfüllten Lebens zu akzeptieren.Zwischen den beiden Gegensätzen Erleben und Tod können die Anpassungskriterien Mut und Reflexion Bedeutung erlangen. Während wir uns im beruflichen und familiären Kontext der mittleren Erwachsenenjahre kaum Gedanken um den Tod gemacht haben, treten wir nun in einen Lebensabschnitt ein, in dem wir uns unweigerlich und mutig den Fragen nach dem Tod stellen müssen. Die plötzlich grenzenlos freie Zeit führt fast zwangsläufig zur Reflexion über unser Leben und Gedanken an den Tod. Die Rückerinnerungen an emotional wichtige Highlights unseres Lebens, und der Mut, vielleicht noch einmal etwas existenziell Wichtiges zu unternehmen, machen es uns einfacher und leichter, die finale Phase unserer Existenz gelassen zu durchleben und dann den Tod als folgerichtigen Abschluss eines erfüllten Lebens zu akzeptieren.

So, wie an einigen Beispielen angerissen, gibt es noch weitere Lebensbereiche, in denen die Adaptabilität und ihre Faktoren dazu beitragen, das persönliche Wohlbefinden und die individuelle Lebenszufriedenheit im Ruhestand und im Alter positiv zu beeinflussen. Um den schnellen Wandel und die damit verbundenen Unsicherheiten zu unserem Vorteil nutzen zu können, sollten wir unsere „adaptive Intelligenz“ auch und besonders im Alter stärken: durch immerwährende Neugierde auf das Leben, die Weiterentwicklung unserer Selbstverantwortung, die Fokussierung auf das existenziell Wichtige, den Mut zur Überschreitung von Komfortzonen, das Eingehen auf neue Bindungen sowie die positive Reflexion der Vergangenheit.

Vielen Dank für Ihr Interesse und beste Grüße!

Ihr (Vor-)Ruhestandscoach und Resilienzlotse für Senioren
Wolfgang Schiele

© Wolfgang Schiele 2021 | Coaching50plus | https://www.coachingfiftyplus.de