ICH -HIER -JETZT A

Mit dem Übergang vom Beruf in den Ruhestand verlieren die meisten Menschen einen Großteil ihrer inhaltlichen, zeitlichen und räumlichen Struktur. Das Skelett der Arbeit, das ihrem Körper einen festen Ablauf mit sinnbestimmter Ausrichtung gegeben hat, bricht in sich zusammen. Auf dem Höhepunkt beruflicher Erfahrungen, Erkenntnisse und Fähigkeiten angekommen wird der Beschäftigungshebel meist von einem Tag auf den anderen abrupt und unwiderruflich umgelegt. Die Betroffenen fühlen sich oftmals unnütz, überflüssig und abgestellt. Sie und ihr fachliches und informationelles Wissen werden scheinbar nicht mehr benötigt – und sie fühlen sich entwertet und entsorgt wie ein Fahrschein.

Neben den o. g. Verlusten, mit der die Seele wie mit einem Trauerfall umgeht, verlieren wir noch etwas ganz Wichtiges, wenn wir das Berufs- und Beschäftigungsfeld verlassen (müssen). Wir verlieren die Anerkennung unserer sozialen Position, die wir im Gefüge des Unternehmens innehatten. Die Wertschätzung sowohl für das tägliche Geben und Nehmen im Arbeitsprozess als auch die Würdigung unserer Lebensaufgabe gehen verloren. Die Teilhabe am abhängigen, sozialerwerblichen Leben wird uns in Deutschland einzig und allein wegen des erreichten Lebensalters entzogen: Kraft gesetzlicher Regelungen und der nie endenwollenden Wohltaten von Parteien, die sich die Stimmen der Hauptwählergruppe 50plus erkaufen, ohne das Rentensystem grundlegend verändern und den demografischen Entwicklungen anpassen zu wollen.

Für den Wiedereinstieg in das soziale Netzwerk, das mit dem Ruhestandseinstieg verlorenging, bedarf es in gewissem Maße der kreativen Neuerfindung: Des Aufbaus einer neuen Identität, Rolle oder Position. Neben der Neubesetzung dieser Alters-Rollen ist es nach meiner Erfahrung außerordentlich wichtig, dass das, was man tut, auch nach dem Beruf eine entsprechende Würdigung erfährt. Für mich gibt es eine Art Stufenleiter, auf der wir uns in der neuen Rolle als Rentner, Pensionär oder Senior Entrepreneur auch psychisch emporarbeiten und entwickeln können. Es beginnt bei Kenntnisnahme und Beachtung – ich werde wieder wahrgenommen in einer Betätigung nach dem Beruf. Vielleicht erhalte ich in meiner neuen Altersrolle jetzt sogar wieder verbalen Zuspruch und Akzeptanz. Man bringt mir im Freundeskreis oder in einer Gruppe Achtung und Bewunderung für mein Handeln entgegen. Werde ich öffentlich aktiv, dann erhalte ich vielleicht schon ein gewisses Maß an (womöglich noch unausgesprochener) Anerkennung und Ehrerbietung. Beginne ich im Außen mit größeren Projekten, Ehrenämtern oder gemeinnützigen Tätigkeiten, dann sind womöglich öffentliches Lob, Würdigung und Ehrung nicht weit. In all diesen Etappen wächst der Respekt und die Bewunderung der Menschen für mein Tun und Handeln. Ideal wäre es, wenn die vorgenannten Würdigungen in ihrer Intensität und in ihrem Ausmaß vergleichbar oder sogar identisch mit denen in der Berufsphase wären. Das wäre ein hervorragender Beitrag zu meinem Wohlergehen und zu meiner Lebenszufriedenheit, zum Gefühl des Gebrauchtwerdens und der Nützlichkeit in der Gesellschaft. Es würde nach meiner Überzeugung auch vor vielen psychischen Erkrankungen im Alter schützen. Und käme dem sehr nahe, was der bekannte Psychiater Klaus Dörner einmal gesagt hat:

„Jeder Mensch braucht seine Tagesdosis Bedeutung für andere.“

Also suchen wir uns doch auch nach dem Berufsleben eine Betätigung, die uns die Wertschätzung anderer Menschen einbringt und uns allen zeigt, dass aktives und konstruktives Altern in höchstem Maße wertvoll sein kann.

Abschließend habe ich noch einen kleinen Film gefunden, der den Wert des erwachsenen, reifen Menschen mit dem Blick auf unsere alternde Gesellschaft sehr gut beschreibt – und zumindest mich sehr nachdenklich gemacht hat:

 

 

 

Ihr (Vor)Ruhestandscoach Wolfgang Schiele

© Wolfgang Schiele 2018 | Coaching50plus | http://www.coachingfiftyplus.de